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Änderungen beim Führerscheinrecht: Aufregung bei Zeit Online und was wirklich dahinter steckt

In der EU steht die Überarbeitung der Führerscheinrichtlinie an. Richtlinien gelten nicht direkt, sondern müssen von den Mitgliedern in nationales Recht überführt werden. Die Gesetzgebungsprozesse lassen sich als Bürger auf den EU-Webseite nachvollziehen.

Von der Europäischen Kommission gibt es aktuell einen Vorschlag hinsichtlich des Führerscheinrechts: „Vorschlag für  eine  RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über den Führerschein, zur Änderung  der Richtlinie (EU) 2022/2561 des Europäischen Parlaments und des Rates, der Verordnung (EU) 2018/1724  des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung  der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Verordnung (EU) Nr. 383/2012 der Kommission„.  In der Begründung heißt es unter anderem:

Die Fähigkeiten, Kenntnisse, das Risikobewusstsein und die Erfahrung der Fahrzeugführer sind nach wie vor begrenzt, insbesondere bei Fahranfängern. Die höhere Zahl der Unfälle und tödlichen Unfälle von Fahranfängern deutet darauf hin, dass die Anforderungen für die Ausstellung von Führerscheinen nicht vollständig an die Ziele der Straßenverkehrssicherheit angepasst sind. Zudem wird die fortschreitende Einführung neuer Technologien (etwa fortschrittlicher Fahrerassistenzsysteme und in Zukunft auch automatisierter Fahrzeuge) erhebliche Auswirkungen auf die Nutzung von Fahrzeugen haben. Diese Technologien können zwar die Straßenverkehrssicherheit verbessern und zu einer inklusiveren Mobilität beitragen, stellen die Fahrzeugführer aber auch vor neue Herausforderungen in Bezug auf ihre Fähigkeiten und Kenntnisse über neue Funktionen, die von der derzeitigen Richtlinie nicht erfasst sind. […] Mit den Vorschriften für die Ausbildung, Prüfung und Probezeit von Fahrzeugführern wird sichergestellt, dass insbesondere junge Fahrzeugführer und Fahranfänger die für ein sicheres Fahren erforderlichen Fähigkeiten, Kenntnisse, Erfahrungen und das erforderliche Risikobewusstsein erwerben.

Auf der Webseite der EU kann man auch den Verfahrensstand nachschauen. Noch war die Richtlinie nicht im Europäischen Parlament. Das Verfahren läuft noch. Im Rahmen des parlamentarischen Prozesses gibt es einen Koordinator, den Berichterstatter:

Während der Berichterstatter den Bericht verfasst, diskutiert er mit anderen EU-Abgeordneten, hört sich die Meinungen der Experten an und veranstaltet manchmal sogar eine Anhörung, um einen besseren Überblick zu dem Thema des Berichts zu erhalten.

Auch wenn in ihrem offiziellen Abgeordneten-Profil davon (noch) nichts steht, ist es in diesem Fall die französische Grünen-Abgeordnete Karima Delli. In dem Entwurf des Bericht schlägt sie vor, den Artikel 15 Absatz 2a Satz 1neu zu formulieren – wohlgemerkt nach ihren Beratungen als Berichterstatterin:

Die Mitgliedstaaten legen spezifische Vorschriften für Fahranfänger hinsichtlich der Geschwindigkeit fest, indem sie die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb der Stadtgebiete herabsetzen, wenn diese zulässige Höchstgeschwindigkeit 90 km/h oder mehr beträgt.

Wen das so beschlossen würde, wäre Deutschland nur verpflichtet eine Regelung zu treffen, welche Geschwindigkeit Fahranfänger höchstens fahren dürfen, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit bei 90 km/h oder höher liegt. Eine Vorgabe von 90 km/h steht da nicht. Könnte auch eine Christian-Linder-Porsche-Geschwindigkeit sein ohne damit formal gegen die Richtlinie zu verstoßen.

Und für Absatz 2b Satz 1 wird vorgeschlagen:

Die Mitgliedstaaten legen spezifische Vorschriften für Fahranfänger mit Führerscheinen der Klasse B1 in Bezug auf die Gesamtmasse der Fahrzeuge fest, indem sie die zulässige Gesamtmasse der Fahrzeuge, die von ihnen gefahren werden dürfen,
auf 1800 kg beschränken.

Es geht hier nicht um die Klasse B!  In Richtlinie 2006/126/EG findet man als Definition:

Klasse B1:

— vierrädrige Kraftfahrzeuge im Sinne des Artikels 1 Absatz 3 Buchstabe b der Richtlinie 2000/24/EG;

— das Mindestalter für die Klasse B1 wird auf 16 Jahre festgelegt;

— die Klasse B1 ist fakultativ; in Mitgliedstaaten, die diese Führerscheinklasse nicht einführen, ist ein Führerschein der Klasse B zum Führen dieser Fahrzeuge erforderlich;

B1 gibt es gemäß § 6 FeV in Deutschland nicht. Deutschland hat von der Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht.

Und es gibt eine Änderungsvorschlag zu Absatz 2c Satz 1:

Die Mitgliedstaaten können besondere Vorschriften für Fahranfänger festlegen, um das Fahren in der Nacht, und zwar von Mitternacht bis 6.00 Uhr, zu beschränken.

Das wäre die Ermächtigung, dass Länder überhaupt solche Regeln treffen dürfen, was sie bisher nicht dürfen. Sie können es auch einfach sein lassen

Das kann man alles in ein paar Minuten ergoogln. Golem bekommt es hin, darüber vom Ansatz sachlich zu berichten. Zeit-Online vergurkt das Thema. So ganz falsch ist „Vorschläge einer französischen Europaabgeordneten für strengere EU-Führerscheinregeln“ ja nicht, aber für mich klang das nach persönlicher Meinung und nicht nach einem vorabgestimmten Vorschlag. Worum es geht, erfährt man nicht, dafür, was Politiker sagen.

So sagte etwa der CDU-Europaabgeordnete Jens Gieseke: „Die Vorschläge von Frau Delli sind ein einziges Verbotsprogramm. Sie wettert gegen individuelle Mobilität.“ Er kritisierte unter anderem, dass es für Fahranfängerinnen und Fahranfänger künftig Nachtfahrverbote geben könnte und sie keine Fahrzeuge von mehr als 1,8 Tonnen lenken dürften. Das würde Transporter betreffen, die etwa bei Umzügen genutzt werden.

Das Kühlschrankkaufargument in abgewandelter Form. Wer kennt nicht die 18-Jährigen, die andauern mit dem Sprinter umziehen. Mit einem vollbeladen Sprinter erlangt man doch viel besser Fahrerfahrung als in einem „einfachen“ PKW.  Nicht gleich das TÜV-Gelände mit einem vollbeladenen Sprinter verlassen zu dürfen ist nicht Verbotskultur und Verhinderung von individueller Mobilität, sondern das macht man, wenn man eigenverantwortlich handelt, auch heute schon nicht.

Auch das mit dem Nachfahrverbot macht Sinn. Merkt man doch schon beim Radfahren, dass man im Dunkeln mehr gefordert ist. Und für die letzten Bäcker-Azubis kann man auch eine Lösung finden.

Von den Grünen, so Zeit Online, heißt es, die Führerscheinrichtline sei nicht geeignet Probleme in der Klimapolitik und den Sicherheitsstandards zu beheben. Das Credo, es bräuchte nur bessere Technik, dürfte Wissing auch gefallen. Aber bei den genannten Vorschlägen geht es allein darum, Unfallwahrscheinlichkeiten bei Fahranfängern zu reduzieren.

Ergänzung 22.09.2023

Auch Spiegel-Online bekommt es sachlicher und informativer hin.

Zuvor hatte etwa die »Bild«-Zeitung einen »Führerscheinhammer« gewittert. Politiker mehrerer Parteien gingen auf Distanz. Dabei ist noch gar nichts zu entscheiden, in Brüssel und Straßburg bilden sich gerade die Meinungen, Vorschläge kursieren. Erst im Dezember soll der Verkehrsausschuss des Europaparlaments über das Thema beraten, bevor im kommenden Jahr ein Beschluss gefasst werden könnte.

In dem Artikel geht es auch die Motivation hinter der Änderungsinitiative und das es sich bei vielen der Vorschläge um in einzelnen Ländern bewährte Maßnahmen handelt.

Für besonders kontrovers hält sie ein Modell, das die Unfallzahlen um 15 bis 20 Prozent senken könne: ein Punktesystem, das über gehäufte Verstöße zum Verlust der Fahrerlaubnis führen kann. In Deutschland kennt man das bereits, als Fahreignungsregister beim Kraftfahrt-Bundesamt. Die Flensburger Punkte wären demnach Vorbild für eine neue Strenge in Europa.

Wenn man das so sachlich aufbereitet liest, wird deutlich, dass es sich nicht um das Verbotsprogramm handelt, dass der CDU-Abgeordnete Jens Gieseke wittert. Bei machen scheint der Freiheitsbegriff inhaltlich gefüllt zu sein wie ein Schoko-Weihnachtsmann mit Schokolade. Ansonsten wäre ich daran interessiert zu erfahren, wie sich im Tod von leicht vermeidbaren Toten die (Mobilitäts-)Freiheit realisiert.

Ergänzung 18.10.2023 00:10:

Den Grünen Verbotsideologie vorzuwerfen, ist ein Diskursverweigerungsmarker, da von dort auch nicht mehr Verbotsideen kommen, als aus anderen Parteien, die beständig Gendern, Sexualaufklärung, ihnen unliebsame Geschlechtsidentitäten, autofreie Innenstädte, stadtverträgliche Höchstgeschwindigkeiten (außer im Einzelfall im eigenen Wahlkreis) und vieles andere verbieten wollen, was die Grünen nicht verbieten wollen. Diskursverweigerung in diesem Fall betreibt MdEP Jan-Christoph Oetjen, der Energie beim Ziegenkraulen tankt. In einem der Redaktion vorliegenden Flyer heißt es: „Gegen diese grüne Verbotsideologie werden wir Freie Demokraten uns mit aller Vehemenz einsetzen.“ Nur ist es ja gar kein Papier der Grünen. wie VeloCityRuhr.Net-Leser*innen (schnell noch mal geschrieben, bevor mir das verboten wird) wissen. Er fordert stattdessen: Absenkung des Alterns für Begleitetes Fahren auf 16 (PKW) bzw. 18 (LKW), Ausweitung der Klasse B auf 4,25 t, aus Gründen der Elektromobilität. Ist das noch Technologieoffenheit? Im Pöbelnetzwerk Facebook schreibt er außerdem: „Auch der grüne Vorschlag zu einem extra Führerschein für PKWs ab 1.8 Tonnen ist eine wahnwitzige Idee. Diese Überregulierung machen wir als Freie Demokraten nicht mit. […] Im ländlichen Raum sowie im Handwerk ist man zwangsläufig auf den PKW angewiesen. Den Zugang jetzt zu erschweren wäre fatal.“ Wer kennt es nicht, das Problem, im ländlichen Raum zwei ausgewachsene Bullen im E-Auto mitnehmen zu müssen. Auch im weiterhin beliebten Pöbelnetzwerk Twitter/X bezieht er Position gegen den „Führerscheinhammer.“

Norbert Paul

Norbert Paul ist per PGP-Schlüssel erreichbar über die E-Mail-Adresse norbert.paul@velocityruhr.net

2 Gedanken zu „Änderungen beim Führerscheinrecht: Aufregung bei Zeit Online und was wirklich dahinter steckt

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