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Klimatest: Rekord-Unzufriedenheit beim Radfahren

Benutzungspflichtige Radwegschäden: Nicht nur in Castrop-Rauxel ist die Unzufriedenheit groß. (Foto: Peter)

(ADFC NRW) Rekord-Teilnahme und Rekord-Unzufriedenheit beim Radfahren. Bundesweit mehr als 170.000 Bürgerinnen und Bürger haben an der achten Umfrage des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs teilgenommen und die Fahrradfreundlichkeit von mehr als 680 Städten bewertet. In Nordrhein-Westfalen haben sich über 41.000 Menschen an der Umfrage beteiligt, 40 Prozent mehr als beim letzten Durchgang, und Bewertungen für 169 NRW-Kommunen abgegeben.

Die Ergebnisse für Nordrhein-Westfalen im Überblick:

Neu beim Fahrradklima-Test 2018 ist die eigene Kategorie der Großstädte mit mehr als 500.000 Einwohnern. Während sich Bremen, Hannover und Leipzig auf den ersten drei Plätzen sonnen, landen die NRW-Großstädte auf den hinteren Rängen. Die Unzufriedenheit der Radfahrenden ist weiter gestiegen: Schulnote 4 für die Landeshauptstadt Düsseldorf und die Ruhrgebietsstädte Essen und Dortmund. Bundesweites Schlusslicht der Großstädte ist Köln mit der Note 4,4. Thomas Semmelmann, Landesvorsitzender des ADFC NRW: „In Zeiten von Klimawandel und Stau-Rekorden sind schlechte 4-rer Bewertungen tatsächlich ein Armutszeugnis. Wir brauchen endlich eine Umverteilung des Platzes auf der Straße. Andere Großstädte wie Paris, London oder New York gehen das Problem längst an. Von Bemühungen für eine bessere Radinfrastruktur in den NRW-Großstädten scheint bei den Radfahrenden nichts anzukommen.“

Das zeigt auch der Abstieg der Fahrradstadt Münster. Münster muss die langjährige Spitzenposition an Platz eins in der Kategorie der Großstädte 200.000 bis 500.000 Einwohner räumen. Neu an der Spitze steht Karlsruhe auf Platz eins. Mit einer Gesamtnote von nur noch 3,3 und dem Trostplatz Nummer zwei gehört Münster zu den großen Verlierern des Fahrradklima-Tests 2018.

Blickpunkt Münster: Die Bewertung der Stadt Münster hat sich in den letzten 15 Jahren stetig verschlechtert. Seit 2003 führte Münster das Fahrradklima-Test-Ranking auf Platz 1 seiner Kategorie mit der Bestnote 1,8 an. In den Folgejahren konnte die Stadt sich zwar an erster Stelle halten, verlor aber stetig an Zuspruch. 2014 wurde Münster noch mit 2,5 bewertet. Im Jahr 2016 nur noch mit 3,1. Thomas Semmelmann, Landesvorsitzender des ADFC NRW: „Die Talfahrt hätte aufgehalten werden können, mit konsequenter Verkehrsplanung pro Rad. Münster muss Prioritäten setzen und mehr Platz für Radfahrende schaffen und zwar zu Lasten des Autoverkehrs. Die Radwege sind völlig unterdimensioniert und viel zu schmal bei steigender Nachfrage.“

Bochum, Bielefeld und Wuppertal können sich im Mittelfeld dieser Kategorie platzieren. Erfolgreicher als der einstige Aufsteiger Wuppertal hat sich Bochum entwickelt – von Platz 23 auf 14. Die Städte Aachen, Duisburg und Mönchengladbach sind die NRW-Schlusslichter – in der Tabelle liegt nur noch Wiesbaden dahinter.

Hamm nicht mehr unter den Top 3: In der Kategorie „kleine Großstädte“ von 100.000 bis 200.0000 Einwohner muss Hamm Federn lassen. Die Stadt ist von einer guten zweiten Platzierung auf Platz 8 abgestiegen – Note 3,8. Hamm hat es als einzige NRW-Stadt immerhin in die bundesweite Top Ten geschafft – hier sucht man andere NRW-Städte vergeblich. Auch Herne wird auf die hintere Bank verwiesen – von Platz 11 geht es auf Platz 25 mit einer schlechten Bewertung von 4,2. Auffällig sind die roten Karten für die Städte Neuss, Leverkusen, Bottrop und Mülheim an der Ruhr. Sie haben sich in der Bewertung deutlich verschlechtert. Schlusslichter der bundesweiten Tabelle dieser Größenordnung sind Bergisch Gladbach, Hagen und Remscheid.

In der Größenordnung der kleineren Städte – 50.000 bis 100.000 Einwohner – bringt das Bundesland NRW einen Spitzenreiter hervor und zeigt gleichzeitig riesige Schwächen. Bocholt bleibt auf Platz eins und kann seinen Spitzenplatz mit leichten Einbußen verteidigen. Auch die NRW-Städte Wesel, Dormagen und Lippstadt gehören bundesweit zu den TOP 10. Bemerkenswert ist die starke Verbesserung von Lippstadt um 33 Plätze. Ansonsten zeigt sich die Unzufriedenheit der Radfahrenden. Für viele NRW-Städte geht es in der Tabelle deutlich nach unten: Es trifft vor allem Ibbenbüren, Arnsberg und Herten – alle drei ehemals TOP 10. Rote Karten gibt es auch für Meerbusch, Lingen, Langenfeld, Unna, Iserlohn, Kleve, Gladbeck, Grevenbroich, Pulheim, Herford und Ratingen. In keinem Bundesland haben sich derart viele Städte in diesem extremen Maß verschlechtert. Während andere Bundesländer mit Verbesserungen punkten, blamiert sich NRW auf ganzer Linie. Das bundesweite Schlusslicht dieser Kategorie ist die „Bergstadt“ Lüdenscheid, die weiter an Zustimmung verloren hat.

In der Kategorie 20.000 bis 50.000 Einwohner – die Kategorie mit den meisten Städten – schafft es NRW aufs Podest und belegt mit Rees am unteren Niederrhein den dritten Platz. In den Top 10 außerdem die NRW-Städte Meckenheim, Dülmen, Rietberg und Überraschungs-Aufsteiger Xanten – von Platz 76 auf Platz 9 verbessert. Die Zahl der Städte, die in der Bewertung negativ auffallen, hält sich in Grenzen. Zu nennen sind hier unter anderem Heiligenhaus, Bad Honnef, Königswinter, Kaarst, Hennef und Brühl.

In der Kategorie der Städte mit weniger als 20.000 Einwohnern kann NRW alle Trümpfe ausspielen. Kein anderes Bundesland schafft „Drei auf einen Streich“ wie Nordrhein-Westfalen mit den Städten Reken (Note 2,0), Wettringen (2,0) und Heek (2,4). Das Trio mit jeweils rund 8.000 Einwohnern hält sich seit 2016 auf den ersten drei Plätzen. Nirgendwo sind die Radfahrenden bundesweit zufriedener beim Radfahren als hier.

Schwerpunkt 2018 – Thema Familienfreundlichkeit

Können Kinder ohne Bedenken alleine zur Schule fahren und unterstützen die Schulen den täglichen Weg mit dem Rad? Wie ist es um die Sicherheit bestellt? Das Ergebnis der Befragung zum Thema Familienfreundlichkeit ist beunruhigend. Drei Viertel der Befragten gaben an, dass man Kinder nur mit schlechtem Gefühl alleine Fahrrad fahren lassen kann. Leuchtendes Vorbild in Sachen familienfreundliche Radwege ist die NRW-Gemeinde Wettringen, die im geografischen Dreieck zwischen Münster, Niedersachsen und den Niederlanden liegt. Sie hat den Sonderpreis als familienfreundlichste Fahrradstadt Deutschlands geholt. „Radfahren ist gesund, fördert die Motorik und hat viele Vorteile für die Entwicklung von Kindern.“, sagt Thomas Semmelmann, Landesvorsitzender des ADFC NRW. „Zudem ist es wichtig, dass Kinder schon früh den Umgang und das richtige Verhalten im Straßenverkehr erlernen.“

Gesamtbewertung in NRW: NRW-Fahrradklima ist schlechter als der Bundesdurchschnitt

Das Fahrradklima, also die Zufriedenheit der Radfahrerinnen und Radfahrer, hat sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich verschlechtert und das Sicherheitsgefühl ist weiter gesunken – auf 3,9. NRW schneidet mit der Note 4,1 deutlich schlechter ab. 2016 lag NRW die Bewertung des Fahrradklimas noch bei 3,9. Der ADFC NRW fordert deshalb, zügig zu reagieren und den Bau von sicheren und geschützten Radwegen anzugehen. Thomas Semmelmann, Landesvorsitzender des ADFC NRW: „Wenn ungute Gefühle wie Angst und Stress die Menschen vom Radfahren abhalten, muss dringend gehandelt werden. Wir brauchen sichere und breite Radwege, abgetrennt vom starken Autoverkehr, durchgängige Radwegenetze, Radschnellwege für Pendler und mehr Fahrradparkhäuser. Durch unsere erfolgreiche Volksinitiative „Aufbruch Fahrrad“ haben wir es geschafft, ein ganzes Bundesland für das Thema Fahrrad zu mobilisieren. Die enorme Resonanz zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind mit unserer Forderung nach einem Fahrradgesetz für NRW. Der Druck auf die Politik wird weiter steigen.“

Falschparker und zu schmale Radwege machen Probleme

Der zu lasche Umgang mit Falschparkern ist mittlerweile das von Radfahrerinnen und Radfahrern am meisten bemängelte Thema (Note 4,5). Besonders unzufrieden sind die Radfahrenden auch mit der schlechten Führung des Radverkehrs an Baustellen (Note 4,5). Ebenfalls schlecht bewertet werden ungünstige Ampelschaltungen für Radfahrerende (Note 4,4) und die fehlende Breite der Radwege (Note 4,4).

Getrennte und geschützte Radspuren vom Autoverkehr werden gewünscht

Die Zusatzfragen haben ergeben, dass es den Befragten am wichtigsten ist, auf dem Rad als Verkehrsteilnehmer akzeptiert zu werden, sich sicher zu fühlen, hindernisfreie Radwege vorzufinden, wenig Konflikte mit Fußgängern zu haben und auf breiten Wegen für den Radverkehr unterwegs zu sein. 81 Prozent der Befragten ist es wichtig, vom Autoverkehr getrennt Rad zu fahren, unter den Frauen sind es sogar 86 Prozent.

Hintergrund zum ADFC-Fahrradklima-Test

Der ADFC-Fahrradklima-Test ist die größte Umfrage zur Zufriedenheit der Radfahrenden weltweit. Im Herbst 2018 wurden bundesweit per Online-Umfrage 32 Fragen zur Fahrradfreundlichkeit gestellt – beispielsweise, ob das Radfahren Spaß oder Stress bedeutet, ob Radwege von Falschparkern freigehalten werden und ob sich das Radfahren auch für Familien mit Kindern sicher anfühlt. Bewertet wurde nach dem Schulnotenprinzip mit Werten zwischen eins und sechs. Nur 15 Prozent der Teilnehmenden sind ADFC-Mitglieder. Die Umfrage ist nicht repräsentativ. Der Fahrradklima-Test fand zum achten Mal statt und wurde vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) aus Mitteln zur Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplans (NRVP) gefördert.

Alle Ergebnisse gibt es auf www.fahrradklima-test.de

Auf der interaktiven Karte gibt es für alle Städte – darunter 169 NRW-Kommunen – einzelne Bewertungen. Das Städteranking und weitere Ergebnisse nach Städtegrößen und Bundesländern lassen sich ebenfalls als PDF-Dateien herunterladen.

Der ADFC NRW e.V. ist mit über 42.000 Mitgliedern der größte Landesverband des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs. In 39 Kreisverbänden und rund 100 Ortsgruppen sind wir vor Ort aktiv. Wir setzen uns für eine umweltfreundliche Verkehrspolitik ein, fahren gemeinsam Touren und beraten in allen Fragen rund um das Fahrrad. Als Landesverband werben wir in Politik, Ministerien und Verbänden für eine Verkehrspolitik, die die Potentiale des Fahrrads ausschöpft. Dabei steht die Entwicklung einer umfassenden Radverkehrsinfrastruktur im Mittelpunkt: ein einheitliches Radverkehrssystem für Alltags-, Freizeit- und Urlaubsradfahrerinnen und -radfahrern mit hohen Qualitätsstandards und guten Serviceeinrichtungen.

Peter Fricke

Peter aus Dortmund schreibt mit der Absicht, auch von jenseits der Stadtgrenzen zu berichten. Interessiert sich für Infrastruktur und die Frage, wie man des Rad als Verkehrsmittel für die große Mehrheit attraktiv machen kann. Ist leider nicht in der Lage, mit Falschparkern auf Radverkehrsanlagen gelassen umzugehen. Per E-Mail erreichbar unter peter.fricke, dann folgt das übliche Zeichen für E-Mails, und dann velocityruhr.net.

2 Gedanken zu „Klimatest: Rekord-Unzufriedenheit beim Radfahren

  • Wir sprechen von Lingen im Emsland? Und das ist Niedersachsen oder doch noch NRW (ich dachte, die Grenze von NRW endet zwischen Salzbergen und Rheine)?

    „Rote Karten gibt es auch für Meerbusch, Lingen, Langenfeld, Unna, Iserlohn, Kleve, Gladbeck, Grevenbroich, Pulheim, Herford und Ratingen“ (alles NRW-Städte bis auf Lingen (wenn ja wo in NRW gibt es noch ein Lingen – mir ist keine Stadt in NRW auf die Einwohnergröße der anderen genannten Städte bekannt, die Lingen heißen könnte – oder habe ich da eine Städte übersehen?).

    Ich hatte eigentlich Essen auf dem letzten Platz der Großstädte erwartet. Dortmund ist immer noch besser aufgestellt als Essen – meine persönliche Wertung.

    Für mich wären neben den ganzen Radwegen auch gut erreichbare Fahrradabstellanlagen wichtig (oder fahren alle Fahrradfahrer nur durch die Gegend und müssen nie irgendwo mal in Geschäfte rein?) und vielleicht sogar einige bewachte (müssen ja nicht kostenlos sein)?

    Antwort
    • Dortmund und Essen haben beide noch ganz viel Luft nach oben und hätten den letzten Platz verdient. Ich weiß nicht, ob es sinnvoll ist, da noch eine Rangfolge zwischen den beiden festzulegen. Die Unterschiede zwischen den Stadtteilen sind viel größer als die Unterschiede zwischen den Städten insgesamt, so dass es für die Radfahrenden viel wichtiger ist, durch welche Stadtteile ihre Wege führen.

      Will man trotzdem unbedingt ein Städteranking machen, würde ich den Bereich Erreichbarkeit und Querbarkeit von Innenstadt/Ring/Hbf sehr hoch gewichten, weil er für fast alle Radfahrenden relevant ist. Und so fürchterlich da die Situation in Dortmund am Wall, einigen Ausfallstraßen und bei der ganzjährigen Querbarkeit der City ist, ist Essen da meiner Meinung nach noch schlimmer. In Dortmund kann man sich zumindest immer bei erbärmlicher Qualität mit kleineren Umwegen durchwursteln, in Essen geht das auf einigen Relationen nur mit Nahkampferfahrung.

      „Für mich wären neben den ganzen Radwegen auch gut erreichbare Fahrradabstellanlagen wichtig.“
      Sehen wir auch so. Teile der Verwaltung leider nicht.

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