Bochumer Oberbürgermeister Thomas Eiskirch im Interview
Gastbeitrag der Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte, Gemeinden und Kreise in NRW
Seit Oktober 2015 ist Thomas Eiskirch Oberbürgermeister der Stadt Bochum. Davor war er zehn Jahre Mitglied des Landtages in Nordrhein-Westfalen. Im Interview mit „Nahmobil“ spricht er über die Radverkehrsplanungen der Stadt Bochum.
Der Beitrag erschien zuerst Nahmobil Nr. 9 der Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte, Gemeinden und Kreise in NRW. Die Zeitschrift kann kostenlos abonniert werden. Wir veröffentlichen ihn mit freundlicher Erlaubnis hier als Gastbeitrag.
Herr Oberbürgermeister, Ihre Kommune ist seit Herbst Mitglied in der AGFS. Unsere Leser würden gerne erfahren, was der Anlass war, sich um eine Mitgliedschaft in der AGFS zu bewerben.
Ausschlaggebend für die Bewerbung um Aufnahme in die AGFS war einerseits, dass in den letzten Jahren bereits viel für den Radverkehr getan wurde und dass diese Arbeit konsequent fortgesetzt werden soll. Andererseits wollen wir die Präsenz dieser Arbeiten in der Öffentlichkeit erhöhen. Wir begreifen die Mitgliedschaft in der AGFS als öffentlichkeitswirksamen Auftrag, die begonnenen Arbeiten weiterzuführen und auch als ein Zeichen nach außen, dass die Kommune bereit und gewillt ist, an der Verkehrswende zu arbeiten. Denn Fahrrad- und Fußgängerfreundliche Stadt ist noch keine Zustands-, sondern eine Zukunftsbeschreibung.
Einige Bürger haben die Aufnahme der Stadt Bochum in die AGFS heftig kritisiert. Was sagen Sie diesen Bürgern?
Es gibt ein deutlich verändertes Mobilitätsbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger. Doch eine lebenswerte Stadt ist auch geprägt durch das Stadtklima. Diese Anforderungen gehören zusammen. Unser Ziel ist ein gutes Miteinander aller Verkehrsträger. Wir haben allerdings noch einen Nachholbedarf im Radverkehr und wollen deshalb die Bedingungen für den Rad- und Fußverkehr verbessern. Dabei sind wir auf einem guten Weg: In ganz Bochum werden aktuell Verbesserungen vorgenommen – vom einzelnen entfernten Poller, der abgesenkten Borsteinkante bis hin zu umfassenden Änderungen wie der gesamten Neuaufteilung des Straßenraumes, meist in Verbindung mit Sanierungsmaßnahmen, oder der Anlage gänzlich neuer Rad- und Fußwege abseits der Straßen.
Bochum wird häufig noch mit Begriffen wie Kohle und Stahl, aber nicht mit moderner Nahmobilität verbunden. Können Sie uns die fünf wichtigsten Radverkehrs-Projekte nennen, mit denen Bochum bei der Nahmobilität punkten kann?
Die tradierten Bilder und Begriffe gibt es, aber Bochum und die ganze Region sind schon längst deutlich weiter – wie die Planungen des Radschnellwegs quer durchs Ruhrgebiet verdeutlicht. Wichtige Nahmobilitätsprojekte sind:
- Wir sind führender Partner in der Kooperation mit dem Leihradsystem metropolradruhr. Bochum ist die Stadt mit den größten Ausleihzahlen.
- Wir erschließen ehemalige Bahntrassen sowohl für den Freizeit- als auch für den Alltagsverkehr
- Wir ergänzen das Landesradwegenetz und weisen Nahziele aus
- Wir legen Radfahrstreifen auf möglichst allen wichtigen Verbindungsstraßen, insbesondere auf den Cityradialen an
- Wir erarbeiten Konzepte für Nahmobilität in den Stadtteilen und langfristig stadtweit.
Der Radschnellweg RS1 ist aktuell in aller Munde. Wie geht es damit in Bochum weiter? Gibt es schon einen konkreten Zeitplan für die Realisierung?
Der Radschnellweg ist mehr als nur eine spannende Idee. Durch die rasante Entwicklung auch der e-bikes bewegen sich immer mehr Menschen abgasfrei, gesund und zügig quer durchs Ruhrgebiet. Um den RS1 realisieren zu können, müssen auch in Bochum umfangreiche Vorarbeiten geleistet werden. Wir erstellen zurzeit erste Vorplanungen für den Abschnitt zwischen Essen und Bochumer Innenstadt. Im westlichen Stadtgebiet bin ich sehr zuversichtlich, dass wir mit den Planungen und dann auch mit der Umsetzung der Bauten schnell vorankommen. Die Durchquerung der Innenstadt ist wegen einiger benötigter Brückenbauwerke komplizierter zu planen. Aber wir arbeiten intensiv an Lösungen. Einen konkreten Zeitplan für die Realisierung kann ich aber noch nicht benennen.
Nun stehen die AGFS-Mitglieder für Nahmobilität im Alltag ein, dazu gehört natürlich auch der Fußverkehr. Was können wir dazu von Bochum erwarten? Was müsste in Bochum konkret für den Fußverkehr getan werden?
In der gewachsenen Struktur der Ruhrgebietsstädte verfügen wir vielfach nur über begrenzte Flächenkapazitäten. Wo immer möglich, erstellen wir in Bochum aber einen möglichst großzügigen Raum für Fußgängerinnen und Fußgänger. Dabei bemessen wir den Platz auch danach, welches Fußverkehrsaufkommen heute schon besteht und was künftig zu erwarten ist. Für den Fußverkehr gibt es in der Bochumer Innenstadt und in den Stadtteilen Wattenscheid und Gerthe bereits Fußverkehrsleitsysteme, die wir erneuern wollen.
Der wichtigste Punkt für mehr und angenehmeren Fußverkehr ist aber, dass die Barrierefreiheit in Bochum ausgeweitet wird. Hier sind wir bereits auf einem sehr guten Weg – wir haben bereits eine große Anzahl an Bordsteinabsenkungen vorgenommen und tun dies auch weiterhin. Darüber hinaus wird für den Stadtteil Wattenscheid gerade das erste modulare Nahmobilitätskonzept erarbeitet. Die darin formulierten Maßnahmen werden so gefasst, dass sie kleinteilig und ohne eine vollständige Umgestaltung des Stadtteiles funktionieren. Die im Rahmen dieses Konzeptes gewonnenen Erkenntnisse sollen dann auch auf andere Stadtteile übertragen und dort ebenfalls angewendet werden.
Welche Vision haben Sie für Nahmobilität in Bochum?
Ich wünsche mir, dass wir in unserer Stadt einen Perspektivenwechsel schaffen: Bisher sehen viele noch immer das eigene Auto als einzige Lösung an und nutzen es unabhängig davon, von wo aus sie los- und wo sie hinfahren. Bundesweit werden noch immer die meisten Fahrten mit dem Auto auf ganz kurzen Strecken von bis zu fünf Kilometern erledigt – das ist in Bochum nicht anders. Hier wünsche ich mir, dass wir es durch geänderte Beschilderungen, Öffentlichkeitsarbeit und ein gutes Infrastrukturangebot schaffen, den größten Teil dieser Fahrten auf das Fahrrad, den Fußverkehr und auch auf den ÖPNV zu verlagern. Aus der bisherigen Perspektive mag das utopisch erscheinen, wenn man Nahmobilität ohne eigenes Auto aber einmal selber ausprobiert hat, stellt man schnell fest, dass diese Utopie doch Realität werden kann.
Kommen wir zum Menschen Thomas Eiskirch. Sind Sie eher Fußgänger oder eher Radfahrer?
Radfahrer.
Was treibt Sie an?
Mein Antrieb ist Bochum. Ich möchte die Stadt nach vorn entwickeln. Denn Bochum soll eine Ermöglichungsstadt werden.
Haben Sie einen Leitspruch oder ein Lieblingszitat?
Mitmachen statt Mitmeckern.
Vielen Dank.