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Verbotene Bilder aus den Niederlanden IV

Natürlich kann man darüber diskutieren, ob niederländische Planer gute Ideen haben, wie man Kreuzungen besser gestalten kann, wenn man meint, getrennte Radwege seinen nötig. Aber das ändert nichts an strukturellen Problemen und führt zu keiner anderen Verkehrs-, Siedlungs und Wirtschaftspolitik. Man kann es realistisch und pragmatisch nennen, wenn nun überall Radwege befürwortet werden, inzwischen auch von der CDU, die wie keine andere Partei dafür steht, dass alles möglich so bleiben soll wie es ist. Wenn ein Radweg die Situation im Einzelfall sicherer macht, wohnt ihm immer die Dialektik inne, dass der die Notwendigkeit, das eigentliche Problem zu lösen, entschärft und damit zu Beibehaltung des Problems beiträgt. Eine Dialektik, die der von Umgehungsstraßen nicht unähnlich ist, die erst einmal den Verkehr im Ort reduziert, aber regelmäßig die Zunahme des Gesamtaufkommens eher fördert. Das sehen selbst Bürger betroffener Dörfer inzwischen so. Man kann in dem zunehmenden politischen Engagements für Radwege innerorts auch die Abwesenheit politischer Utopien erkennen (soetwas hatte die Sozialdemokratie mal), wenn Politik durch Veränderungen von Details am Ende doch nur den Ist-Zustand verwaltet, hier eine auf das Auto ausgerichtete Verkehrsinfrastruktur. Dafür scheinen die Niederlanden bei der Verkehrsplanung für Viele die geeignete Blaupause zu sein und macht möchte die niederländische Verkehrsplanung aufgreifen – andere soziokulturelle und rechtliche Kontexte einfach mal beiseite lassend.

So heißt es in einer Pressemitteilung der Dortmunder Grünen:

In den Niederlanden gehören sie schon längst zum Standard – bei uns haben sie noch Seltenheitswert: Kreuzungen und Kreisverkehre, die Fußgänger*innen und Radfahrenden größtmögliche Sicherheit bieten.

In der Pressemitteilung präsentieren die Grünen, was sich diese vorstellen.

(Abbildung: Bündnis 90/Die Grünen Dortmund)
(Abbildung: Bündnis 90/Die Grünen Dortmund)

Wer mit offenen Augen durch Dortmund fährt, wird wenige Kreuzungen finden, wo es genug Platz gibt. Und wenn man eine gefunden hat. wird bei den meisten zudem das Prinzip schon weitestgehend umgesetzt sein inkl. Beachtung des niederländischen Paradigmas, dass man pragmatische Lösungen gegenüber der buchstabentreuen Umsetzung von Richtlinien den Vorrang geben sollte, um Infrastrukturen umsetzen zu können. Radaktivisten, die begeisterungsfähiger sind als ich, können sicherlich erklären, warum das alles Ganz anders ist. Aber damit verliert man sich in Debatten, die sich nach einer gelungenen Neujustierung des innerörtlichen Verkehrs nicht mehr stellen müsste. Über die Debatten, ob eine Furt einen halben Meter weiter eingerückt werden muss und Kanten baulich ausgeprägter sein müsse, freuen sich alle, die nicht wollen, dass der Kfz-Verkehr ernsthaft eingeschränkt wird.

Dass der Platz für das geforderte Kreuzungsdesign nicht ausreicht, ist auch in den Niederladen normal und der Nutzen ist bisher auch nicht belegt (VeloCityRuhr.Net berichtete), daher greifen die Befürwortet auf eigene überschlägige Berechnungen zurück, wie der ADFC eingestehen musste (VeloCityRuhr.Net berichtete). Diese Hinweise sind kein Plädoyer dafür, die Überlebensstrategie Vehicular Cycling als Ansatz zu Systemänderung zu sehen, was ja auch nicht wirklich Intention davon ist.

Bei dem niederländischen Ansatz, so man überhaupt von einem wirklich eigenständigen Ansatz gegenüber Deutschland sprechen möchte, bleibt der durch das Nebeneinanderfahren entstehende Konfliktpunkt bestehen: Die Wege vom rechts abbiegenden Kfz und dem geradeaus fahrenden Rad kreuzen sich. Bei den Grünen in Dortmund klingt das so:

An den sogenannten „sicheren Kreuzungen“ werden Radfahrer und Autofahrer klar voneinander getrennt.

Zu der Begegnung trotz klarer Trennung schreiben die Grünen:

Der Übergang für die Radfahrenden wird ein kleines Stück in die kreuzende Straße verlegt. Der Vorteil dabei: Der Pkw fährt gerade auf den Radweg zu. Das soll die Sicht zwischen den Verkehrsteilnehmer*innen verbessern und das Problem des toten Winkels minimieren.

Das wiederum zeigen die Prinzipskizzen oben nicht. Als Besonderheit wird auch hervorgehoben:

In den Kurven verringert das niederländische Modell den Kurvenradius und damit auch die Geschwindigkeiten im Kreuzungsbereich.

Es ist auch für deutsche Planer keine Neuigkeit, dass Kurvenradien was mit Fahrgeschwindigkeiten zu tun haben, die möglich sind.

Verlassen wir hier einmal die Ebene der Lokalpolitik für eine grundsätzliche Überlegung: Wenn man Verkehrssicherheit als wissenschaftliche Disziplin begreift und dem Philosophen Karl Popper folgt, bleibt die Theorie, dass das niederländische Kreuzungsdesign sicher sei, unbeweisbar (gilt natürlich auch für die Führung auf der Fahrbahn ebenso). Kerngedanke des Kritischen Rationalismus ist, dass eine wissenschaftliche Theorie nie abschließend belegt werden kann und nur widerlegt werden kann. Das bekanntest Beispiel zu Erklärung, worum es geht: Die Aussage, dass alle Schwäne weiß seien, kann nur falsifiziert, d. h. widerlegt werden. Dies geschieht z. B. durch das Finden eines schwarzen Schwans. Dem Ansatz wohnt das Bewusstsein inne, dass die eigene Theorie vorläufig und damit womöglich fehlerhaft ist.

Da keiner behauptet, aus deutschen Richtlinien oder der amtlichen Selbstdarstellung könne man ein Bild des Ist-Zustandes in Deutschland gewinnen, sollte man auch bei den Niederlanden genau hinschauen und in vergleichbaren Situationen und nicht vergessen, dass Radurlaub was anderes ist Alltagsradverkehr. Mit der sporadischen Reihe „Verbotene Bilder aus den Niederlanden“ versuche ich zu einem differenzierten Bild beizutragen. Dazu tragen auch Bilder eines Dortmunder Radfahrers bei, die dieser bei Twitter veröffentlicht hat (es ist nur eine Auswahl eingebunden).

https://twitter.com/a_linnemann/status/1448357434729373701?s=20

https://twitter.com/a_linnemann/status/1448595774556737539?s=60

Norbert Paul

Norbert Paul ist per PGP-Schlüssel erreichbar über die E-Mail-Adresse norbert.paul@velocityruhr.net

3 Gedanken zu „Verbotene Bilder aus den Niederlanden IV

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