Reaktion der Stadt auf die tödlichen Rechtsabbiegeunfälle in Dortmund
Im Dezember und Februar wurden in Dortmund zwei Ghost Bikes aufgestellt, nachdem Radfahrer*innen vermutlich unschuldig zu Tode kamen durch rechtsabbiegende LKW. Zu dem Unfall im Dezember erwartet die Stadt aktuell ein DEKRA-Gutachten, beim Februar-Unfall ermittelt noch die Polizei. Zu beiden Fällen gab es außerordentliche Sitzungen der Unfallkomission Dortmund bzw. wird es geben, sobald die Ermittlungen abgeschlossen sind. Die Unfallkommission ist eine gemeinsame Aufgabe der Straßenverkehrs-, Straßenbau- und Polizeibehörden in Nordrhein-Westfalen. Die Unfallkommission in Dortmund wird von der Straßenverkehrsbehörde (Abteilung des Tiefbauamtes) geleitet.
In einem sehr eindrücklichen Leserinbrief von hoher analytischer Präzision an das Flensburger Tageblatt (via rad[irr]wege) schrieb eine Mutter eines 14-Jährigen, der ebenfalls tödlich verletzt wurde durch einen LKW:
Leider wurde uns von Seiten der Stadt nicht einmal persönlich kondoliert. […] Dies wäre in diesem Fall das Mindeste gewesen.
Ob von Seiten der Stadtverwaltung kondoliert wurde, war bei der Stadt nicht in Erfahrung zu bringen. Das sei eine Einzelfallentscheidung. Bei anderen Todesfällen reagiert die Stadt hingegen sogar öffentlich.
Oberbürgermeister Ullrich Sierau zeigt sich schockiert und betroffen von dem tödlichen Vorfall […] bei dem ein 15-jähriges Mädchen ihr Leben verlor: „Über das Geschehene sind wir erschüttert und betroffen. In Gedanken sind wir bei den Familien der beiden Mädchen. Ich habe unmittelbar und dringend darum gebeten, die Hintergründe und Zusammenhänge der Tat aufzuklären. Zunächst gilt es, den tatsächlichen Sachverhalt darzustellen, so dass wir die jetzt erforderlichen Schritte einleiten können. Dazu gehören auch Hilfen für die betroffenen Familien.“ […] „Wir werden alle ordnungsrechtlichen, baulichen und betreuerischen Möglichkeiten, über die wir verfügen, genauestens anschauen, diese bewerten und mit Blick auf die Situation vor Ort einsetzen“, sagt Oberbürgermeister Ullrich Sierau zu.
Gleichzeitig kündigte man aktionistisch die Schließung des Tatortes zu Nachtzeiten an, zu denen sich der Todesfall gar nicht ereignet hat. Das hätte weder diese Tat verhindert noch kann es andere Taten dieser Art verhindern. Solchen Aktionismus braucht es bei tödlichen Unfällen im Verkehr sicherlich nicht. Hier zeigte die Stadt anschließend zeitnah Präsenz und war über Tage täglich von 10-20 Uhr da. Das ist eindeutig sinnvoll so gewesen. Bei tödlichen Verkehrsunfällen passiert nichts vergleichbares. Selbst zu der Aufstellung der Ghost Bikes kommt kein offizieller Vertreter der Stadt dazu.
Solange die LKW-Fahrer*innen nicht mutwillig gegen Verkehrsregeln verstoßen haben, verbieten sich einseitige Schuldzuweisungen. Selbst dem vorsichtigsten LKW-Fahrer, der vorsichtigsten LKW-Fahrerin kann das passieren. Die sind meist alleine mit den großen Gefährten in einer unübersichtlichen Situation mitten in den Städten unterwegs. Ich empfehle jedem, mal wahrzunehmen was man schon in einem normalen Kfz alles nicht wahrnimmt. Da muss man sich nur eine Sekunde in eine anderen Richtung hin vergewissern, dass da keiner ist, und schon ist etwas passiert, was die Menschen hinter dem LKW-Steuer vermutlich ein Leben lang begleiten wird und für das juristische Konsequenzen zu tragen sind. Mit problembewusstem Fahren kann man das Risiko sicherlich verringern, aber nicht ausschließen. Zu fordern, alle LKW aus der Stadt rauszuhalten ist realitätsfern. Dafür müssten alle Geschäfte vor die Städte verlagern werden und dann ertrinken wir in einer Flut von Lastenrädern … Ich wünsche auch viel Spaß beim Umziehen mit Lastenrädern, wenn es um ganze Familienhaushalte geht.
Hingegen sollte man seitens des verantwortlichen Behörden möglichst vermeiden, dass bei regelkonformen Verhalten überhaupt eine Konfliktsituation entsteht. Einen großen Beitrag zur Verringerung der Eintrittswahrscheinlichkeit würden getrennte Grünphasen für Kfz und Radverkehr beitragen, wenn dann alle Verkehrsteilnehmer*innen sich an die Lichtsignale halten. Gerade an der Kreuzung Leopoldtstraße/Mallinckrodtstraße würde ich das mit der Ampel an der Haltestelle Hafen (Mallinckrodtstraße/Sunderweg) kombinieren, sodass diese als Pförtnerampel nur so viel Autos in die Nordstadt lässt, dass der Verkehr in den Mallinckrodtstraße nicht stockt und die dort wohnen Menschen möglichst wenigen Schadstoffen ausgesetzt sind. In Basel arbeitet man inzwischen mit solchen Pförtnerampeln. Die würde dann ermöglichen bei 25 km/h-Durchschnittsgeschwindigkeit bei Grün die Kreuzung passieren. Anschließend gäbe es Rund-um-Grün für Fuß- und Radverkehr. Dann käme der Nord-Süd-Kfz-Verkehr dran und dann gäbe es wieder Rund-um-Grün für Rad- und Fußverkehr.
Aus Sicht des Tiefbauamtes ist die jetzige Schaltung verkehrssicher, berichtet Sylvia Uehlendahl, Leiterin des Tiefbauamtes, gegenüber VeloCityRuhr.Net.
Der Fachbereich Signaltechnik wurde trotzdem gebeten, die Lichtsignalanlage noch einmal hinsichtlich möglicher Verbesserungen zu überprüfen.
Wer die Maximierung der Kfz-Kapazität einer Kreuzung nicht als vorrangig ansieht, hat in der entsprechenden Abteilung einen schweren Stand, wenn man sich mit einem Anliegen an diese wendet. Eine Veränderung wird es dennoch geben, berichtet Uehlendahl:
Um den klaren Verlauf der Radwege jedoch zusätzlich zu verdeutlichen, werden die Radwege im Knotenbereich im Frühjahr bzw. sobald es die Witterung zulässt rot markiert. Außerdem wird zur Zeit die Montage von ortsfesten Spiegelsystemen zur Verbesserung der Konfliktsituation zwischen rechtsabbiegenden Fahrzeugen und geradeausfahrenden Radfahrern geprüft. Hier werden die Trixi-Spiegel bzw. BlackSpoltMirror durchaus als geeignet angesehen.
Gelöst wird das Problem, dass Radfahrer*innen auf einem viel zu schmalen Radweg unterwegs sind und bei Grün sich deren Weg im Kreuzungsbereich dann mit dem der abbiegenden LKW kreuzt, dadurch nicht. Am besten verzichtet man auf seinen Vorrang, werden sicherlich jetzt einige sagen. Das ist keine Lösung bei den Kfz-Lawinen. Hier möchte ich nochmal den Leserbrief zitieren:
Lieber Herr Dekra-Gutachter, als letzten Punkt in ihrer Zusammenfassung zu schreiben: „der Unfallbeteiligte 02 (Paul) hätte die Kollision bei Verzicht auf sein Vorrang vermeiden können“, ist ein derber Schlag ins Gesicht. Paul hätte gerne darauf verzichtet, wenn er die Möglichkeit dazu gehabt hätte. Gelten die Verkehrsregeln nun nichts mehr? Sollten wir lieber bei einer grünen Ampel stehen bleiben? Paul ist tot. Er wurde aus einem glücklichen Leben gerissen. Die Zeit heilt nicht alle Wunden, da das Vermissen und die Sehnsucht mit jedem Tag größer werden, denn mein Kind kommt nie mehr zurück.“
In new York ist schon immer das fahren von LKW beschränkt… http://www.nyc.gov/html/dot/html/motorist/truckrouting.shtml
Alle drei Unglückkreuzungen, an den Ghost Bikes stehen, würden in Dortmund sicherlich zu genau diesem Netz gehören. Da es in DO höchstens in Einzelfällen Probleme mit LKW in Wohngebieten gibt, sehe ich keine Nutzen für Dortmund darin.
Wenn das Tiefbauamt nicht mal bei solch unterirdischen Konstrukten wie dem Radweg zwischen Uhland- und Leopoldstraße die Gefährdung sieht, wo denn dann? Wer dort mit dem Rad fährt, taucht für abbiegende Autofahrer praktisch aus dem Nichts auf. Da der Radweg bis wenige Meter vor der Kreuzung hinter geparkten Autos geführt wird. Ich dachte, es wird langsam besser…
Das ist ein Protected Bikelane, und die sind geeignet, um mehr Leute auf das Rad zu bekommen. Habe ich mir sagen lasen.
Ja, sicher. Mehr Leute, die in die Falle gelockt werden. Sämtliche mir bekannten tödlichen Unfälle mit Fremdbeteiligung in Dortmund sind auf derartige Konstrukte zurückzuführen.
Wenn schon unbedingt „protected“, dann auch an den Kreuzungen. Aber das brauche ich alles nicht zu sagen und das Tiefbauamt liest hier vermutlich nicht mit.
Der Unfall, für den das erste Ghost Bike aufgestellt worden war, fand m. W. nach mitten auf der Kreuzung statt.
Deine Vermutung trügt dich meines Wissens nach. Es fehlt an einer mitlesenden Politik und selbst wenn die mitlesen würde:
Jutta Deffner, Institut für sozial-ökologische Forschung in Frankfurt am Main; faikehr 1/2018, S. 18