Mit Rad und Kinderanhänger durch Leipzig
Vor kurzem war ich mal wieder zu Besuch in Leipzig. Wer das erste Mal nach Leipzig kommt, denkt vielleicht an die Buchmesse, an das Johann Sebastian Bach-Museum und die Thomaskirche, an das Gewandhaus oder den berühmten Zoo und weniger ans Fahrrad. Doch Fahrräder gibt es reichlich in der Stadt, sowohl fahrend, wie auch dicht gedrängt an den Abstellplätzen.
Die zentrale Universität bietet den Studierenden kostenlose Fahrradstellplätze in zwei Fahrradgaragen mit insgesamt 1700 Plätzen. Offensichtlich reicht das nicht, denn auch vor der Uni stehen jede Menge Fahrräder herum. In der Innenstadt hat man viele Autoparkplätze durch Radstellplätze ersetzt.
Auch ich nutze dort gerne das Rad plus Kinderanhänger für den Enkel. Durch die Karl-Liebknecht Straße (Karli) geht die Fahrt auf den neu angelegten Radstreifen in Richtung Zentrum. Da ich mit dem Anhänger nicht so schnell unterwegs bin, werde ich ständig von anderen Radfahrern überholt, die dazu auf die angrenzende Fahrbahn ausweichen müssen. Das ist zwar nicht StVO konform, aber die Breite der Streifen lässt kein sicheres Überholen innerhalb des Streifens zu. Man sollte daher auch bei den Radstreifen, genauso wie bei Schutzstreifen (die mit unterbrochener Markierung), das Wechseln auf die Fahrbahn zum Überholen legalisieren. Aber auch ich muss notgedrungen öfters den Radstreifen verlassen und zwar dann, wenn hin und wieder Lieferfahrzeuge am Rand stehen und den Radstreifen blockieren. Die Straße ist halt nicht breit genug um allen Bedürfnissen einen eigenen Raum anzubieten. Würden die Lieferwagen auf der Fahrbahn stehen, käme auch die Straßenbahn nicht mehr durch. Das wechseln vom Radstreifen auf die Fahrbahn geht jedoch problemlos, die Autofahrer sind rücksichtsvoll. Das kann natürlich auch am Kinderanhänger liegen. Als erwachsener Einzelfahrer bekommt man eventuell weniger Rücksichtnahme.
Weiter geht es auf markierten Spuren über die großen Kreuzungen mit gesonderten Radampeln. Die Ampeln schalten schnell auf Grün und ich komme gut voran. Auch scheinen sie getrennt vom Autoverkehr zu schalten, da ich keine Konflikte mit den Abbiegern habe. Eventuell haben sie auch nur ordentlich Grünvorlauf. Überhaupt gibt es bei den erneuerten Straßen viele Radstreifen, die jeweils auch einen ausreichenden Seitenabstand zu den parkenden Autos bieten. Schmale Schutzstreifen, wie sie im Ruhrgebiet üblich sind, habe ich auf meinen Strecken nicht gesehen.
Hin und wieder geht’s vom Radstreifen aber hinauf auf alte Hochbordradwege und sogar auf gemeinsame Rad- und Fußwege. Hier muss ich langsam fahren, damit mein Enkel hinten im Anhänger nicht zu sehr durchgeschüttelt wird, denn diese Hochbordeinrichtungen befinden sich in einem desolaten Zustand. Auch auf manchen Fahrbahnen gilt es gut aufzupassen, da es noch viele alte Kopfsteinpflasterstraßen mit Löchern und hoch hinausragenden Kanaldeckeln gibt.
Mehr Spaß macht es dagegen, durch die großzügigen Parkanlagen zu fahren, an die sich weitläufige Auwälder, sowie das Neuseenland anschließen. Die Parks beginnen gleich am Rand der Innenstadt und die Wege werden gerne als autofreie Verbindungsstrecken von Radfahrern zwischen den Stadtteilen genutzt.
Leipzig hat einen großen Bestand an alten Häusern aus der Gründerzeit, von denen viele bereits renoviert sind und mit neuem Glanz der Stadt ein besonderes Flair geben. Da die vier- und fünfgeschossigen Häuser über keine Garagen oder Parkplätze verfügen, ist es schwierig überhaupt einen Autostellplatz in Wohnungsnähe zu bekommen. Das ist vielleicht auch ein Grund, warum das Fahrrad als praktisches Verkehrsmittel sehr beliebt ist. Oft gibt es in den Hinterhöfen überdachte Stellplätze für die Fahrräder.
Im Osten der Stadt sind auch neue Wohn- und Gewerbeviertel entstanden. Die neuen Straßen haben dort Radwege erhalten. Trotzdem sieht man hier nur wenige Radfahrer. Anders sieht es beispielsweise in der Südvorstadt aus. Bis auf die Radstreifen in der Karli gibt es dort gar keine Radwege. Trotzdem hat das Fahrrad hier einen sehr hohen Anteil am Verkehrsaufkommen. Das lässt den Schluss zu, dass Fahrradinfrastruktur nicht die große Rolle spielt, wenn es darum geht einen hohen Radanteil zu erzielen. Andere Faktoren wirken sich offensichtlich stärker aus. So hat der ADFC bei Zählungen bereits im Jahr 2007 auf dem Petersteinweg, das ist eine wichtige Verbindungsachse zwischen der Innenstadt und dem Süden, ein Verkehrsaufkommen von 12.000 Radfahrenden und 14.000 Kfz/24h gezählt, obwohl es dort zu der Zeit noch keinen Radweg bzw. Radfahrstreifen gab.
Es gibt allerdings auch, wie im Ruhrgebiet, stadtplanerische Fehlentwicklungen, die vor allem das Kfz-Verkehrsaufkommen zusätzlich erhöhen. Als Beispiel sei das Einkaufscenter Paunsdorf vor den Toren der Stadt mit 70.000 qm Verkaufsfläche genannt. Zwar kommt man auch mit der Straßenbahn dorthin, aber die Fahrzeit ist sehr lang und man muss eventuell umsteigen. Es ist ebenso für Radfahrer unattraktiv dorthin zu gelangen. Hauptsächlich wird hier auf Autokundschaft gesetzt, da für diese inklusive zweier Parkhäuser 7.300 kostenfreie Parkplätze zur Verfügung stehen.
Da ich nicht immer ein eigenes Fahrrad dabei habe, leihe ich mir gerne ein Rad vom Verleihsystem Nextbike aus. Es gibt ein dichtes Netz von Ausleihstandorten und die 3-Gang-Räder funktionieren in der flachen Stadt gut. Auch der Ausleihvorgang über das Handy ist problemlos und schnell. Die Firma Nextbike, die ihren Sitz in Leipzig hat, betreibt auch das Verleihsystem Metropolrad Ruhr bei uns im Ruhrgebiet.
Ein großer Unterschied zum Ruhrgebiet ist die Einstellung zum Radfahren. Im Ruhrgebiet wird Radfahren mehrheitlich als reines Freizeitvergnügen angesehen. In Leipzig ist jedoch das Fahrrad in erster Linie ein praktisches Verkehrsmittel, das trotz des oftmals schlechten Straßenzustandes von Jung bis Alt fleißig genutzt wird.
Welche Überraschung … 😉