Radentscheide am Ende: Deswegen spricht das Gericht Klartext
Inzwischen liegt der Volltext des Urteils des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchens (Urteil vom 15.03.2024 – 15 K 1844/22) vor, in dem es um die Zulässigkeit des Radentscheids Bochums ging. Für das Urteil sind drei gesetzliche Regelungen in der Gemeindeordnung NRW (GO NRW) zentral:
1. § 26 Absatz 1 Satz 1 GO NRW
Die Bürger können beantragen (Bürgerbegehren), dass sie an Stelle des Rates über eine Angelegenheit der Gemeinde selbst entscheiden (Bürgerentscheid).
2. § 26 Absatz 2 Satz 1 GO NRW
Das Bürgerbegehren muss in Textform eingereicht werden und die zur Entscheidung zu bringende Frage sowie eine Begründung enthalten.
3. § 26 Absatz 7 Satz 1 GO NRW
Bei einem Bürgerentscheid kann über die gestellte Frage nur mit Ja oder Nein abgestimmt werden.
in 1. sei wichtig, dass die Rede von Angelegenheit und nicht Angelegenheiten sei. Auch an anderer Stelle im Paragrafen werde deutlich, dass es um eine eng umgrenzte Sache gehen müsse. Die Verknüpfung mehrerer Einzelfragen mit unterschiedlichen Regelungsinhalten unter einer gleichgerichteten Zielsetzung an unterschiedliche Adressaten sei davon nicht erfasst. Ein politisches Programme, dessen Durchführungsmodalitäten erst noch geplant werden müssten, erfülle diese Anforderung nicht. Es sei im Gesetzgebungsprozess auch nicht beabsichtigt gewesen, die repräsentative Demokratie zu ersetzen, sondern diese sollte ergänzt werden.
Welche Materien sachlich in einer Weise zusammenhängen, dass sie in einem Bürgerbegehren verbunden werden dürfen, beurteilt sich nach materiellen Kriterien. Die bloße formale Verbindung unter dem Dach einer (stark abstrahierten) Fragestellung genügt ebenso wenig wie die Verknüpfung durch ein gemeinsames allgemeines Ziel oder ein politisches Programm. Maßgeblich ist, ob die Teilfragen oder -maßnahmen nach objektiver Beurteilung innerlich eng zusammenhängen und eine einheitliche abgrenzbare Materie bilden.
Auch müsse es um Aufgaben des Rates gehen. Dies treffe z. B. nicht auf die s. g. Freigabe von Einbahnstraßen zu, da es sich um eine Aufgabe der Straßenverkehrsbehörden handelt (§ 44 StVO).
Ein Bürgerbegehren darf daher nicht die Aufstellung von Verkehrsschildern fordern, wenn dafür eindeutige gesetzliche Tatbestände formuliert sind, deren Einhaltung im Wege des Weisungsrechts der Rechtsaufsicht durchgesetzt werden könnte.
Ein anderer Aspekt ergibt sich aus 2. und 3.
Die hinreichende Bestimmtheit der Fragestellung eines Bürgerbegehrens ist von überragender Bedeutung. Die Bürger müssen schon aus der Fragestellung erkennen können, für oder gegen was sie ihre Stimme abgeben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ihre Mitwirkung sich nicht auf eine mehr oder weniger unverbindliche Meinungsäußerung oder die Kundgabe der Unterstützung bestimmter Anliegen beschränkt, sondern eine konkrete Sachentscheidung betrifft.[…] Das Bürgerbegehren steht zudem in engem sachlichen Zusammenhang mit dem Bürgerentscheid, der im Falle eines zulässigen Bürgerbegehrens herbeizuführen ist und die Wirkung eines Ratsbeschlusses hat. Aus § 26 Abs. 1 Satz 1 GO NRW ergibt sich daher, dass ein Bürgerbegehren nicht lediglich darauf gerichtet sein darf, dem Rat generelle Vorgaben für eine von ihm noch zu treffende Entscheidung zu machen. Vielmehr muss der angestrebte Bürgerentscheid die abschließende Entscheidung über eine Angelegenheit der Gemeinde anstelle des Rats im Sinne einer konkreten Sachentscheidung selbst treffen. Das Bürgerbegehren darf auch nicht bloß auf das Verfahren zielen, in dem diese Entscheidung getroffen werden soll. Unzulässig sind zudem resolutionsartige Meinungskundgaben.
Das Gericht hält es folglich für erforderlich, dass bei ortsbezogenen Maßnahmen die genaue Örtlichkeit zu benennen ist.
Von der Argumentation ein stringentes und nachvollziehbares Urteil, dass das strukturellen Probleme vieler Radentscheide schonungslos offenlegt, die die Frage ausklammern, wie die Ziel konkret realisiert werden sollen und das viele Ziele auch fernab möglicher Nutznießer realisiert werden können. Zulässig wäre somit z. B. ein Bürgerbegehren über einen konkreten Trassenverlauf eines Radschnellweges.