Liebling, ich habe den Schutzstreifen geschrumpft!
Schlechten Filmen aus den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts kann man leicht aus dem Weg gehen. Bei den gerade frisch markierten Schutzstreifen auf der Meinbergstraße (und der Kohlsiepenstraße) ist das nicht so einfach. Denn die Strecke ist ja schon die Ausweichstrecke für alle, die sich die Konflikte am Phoenixsee nicht antun wollen, wo durch eine Reihe von fragwürdigen Entscheidungen das Konfliktpotenzial weit über dem unvermeidlichen Maß liegt.
Weitere brauchbare Ausweichstrecken ohne größere Umwege gibt es nicht.
Aber der Reihe nach. Die Meinbergstraße war schon länger in einem schlechten Zustand. Die Arbeiten für den Bau den Phoenixsees und der umliegenden Bebauung haben ihr dann den Rest gegeben. Auf einigen besonders üblen Abschnitten fühlte man sich schon fast wie auf einem Dortmunder Radweg.
Darum gab es den Beschluss, die Straße auszubauen und die Fahrbahndecke zu erneuern. Sehr gut. Und den Beschluss, „Schutzstreifen für Radfahrer von je 1,50m Breite“ abzumarkieren. Weniger gut, denn der Schutzstreifen verläuft abschnittsweise im Türbereich parkender Autos, so dass die Gefahr plötzlich geöffneter Türen besteht.
Wenn man die Breite einer Autotür (bis 1,13m ab Spiegel bzw. bis 1,28m ab Karosserie), eines Fahrradlenkers (bis 65cm) und vielleicht noch eine Schwankungsbreite von zwanzig Zentimetern ansetzt, sieht man schnell, dass man auf einem solch schmalen Streifen den Gefahrenbereich nicht verlassen kann. Erschwerend kommt hinzu, dass überholende Autos sich an der Linie orientieren, statt den gebotenen Abstand von 1,5m zu halten. So wird der Radverkehr von beiden Seiten in die Mangel genommen und hat statt der eigentlich nötigen 2,8m Sicherheitsabstand (1,3m nach rechts und 1,5m nach links) vielleicht 90cm (Streifenbreite minus eigene Breite), die er auf die rechte und die linke Seite verteilen muss.
Leider sind solche „Lösungen“ nach den „Empfehlungen für Radverkehrsanlagen“ (ERA) bei „wenigen Parkvorgängen“ noch zulässig, aber die Kritik an dieser Regelung ist so laut, dass sie hoffentlich bei der nächsten Überarbeitung der Empfehlungen gestrichen wird.
Schmale Schutzstreifen sind ein Sicherheitsrisiko
Diese Hoffnung wird auch durch eine Untersuchung aus Österreich gestützt, die mit Videobeobachtungen und Interviews die Situation des Radverkehrs neben parkenden Fahrzeugen ergründet hat.
Ergebnis:
- Drei Viertel aller Radfahrenden fahren innerhalb der Türzone.
- Bei 80 % der Überholvorgänge wird der erforderliche Sicherheitsabstand nicht eingehalten.
- Längsmarkierungen bewirken eine Zonierung der Fahrbahn, mit folgenden Effekten:
– Radfahrende fahren in der Mitte „ihres Fahrstreifens“ und werden durch Türunfälle gefährdet
– Dem Kraftverkehr wird ausreichend Platz für ein scheinbar sicheres Überholen signalisiert - Drei Viertel der interviewten Radfahrenden geben an, schon einmal in einen Unfall oder eine kritische Situation mit einer plötzlich aufgehenden Fahrzeugtür verwickelt worden zu sein.
Speziell zu Schutzstreifen (in Österreich: Mehrzweckstreifen1) gibt es in der Untersuchung einige wunderbar eindeutige Aussagen:
- Bei einer Breite des Mehrzweckstreifens von 1,5m bewegen sich Radfahrende unweigerlich in der Türzone
- Eine Breite des Mehrzweckstreifens von 1,75 m ermöglicht Radfahrenden gerade noch das Fahren außerhalb der Türzone
- Die Zonierung der Fahrbahn führt zu Überholmanövern mit deutlich zu geringem Sicherheitsabstand
- Ein (schmaler) Mehrzweckstreifen ist ein Sicherheitsrisiko für Radfahrende
Mehr muss man zu 1,5m-Schutzstreifen neben parkenden Autos eigentlich nicht sagen.
Schrumpfstreifen
Zurück an den Phoenixsee. Schutzstreifen in der Breite von 1,5m sollten also vermieden werden, und darum ist es zunächst einmal eine gute Nachricht, dass die Pläne bei den derzeit laufenden Markierungsarbeiten in der Meinbergstraße nicht umgesetzt wurden. Aber leider überrascht dich Dortmund in Sachen Radverkehr nur sehr selten positiv: Es wurden noch nicht einmal die in den Gremien beschlossenen und in einer Pressemeldung2 noch zu Baubeginn ausdrücklich bestätigten 1,50m markiert, sondern nur 82-94cm (fünf Messungen, Mittelwert 89cm). Neben parkenden Autos!
Wie die Differenz entsteht, lässt sich recht gut herleiten: Der Rinnstein wurde entgegen den Empfehlungen der ERA dem Schutzstreifen zugerechnet (Differenz: 32cm), die Linie (Zeichen 340) wurde entgegen den Vorgaben der ERA nicht hälftig, sondern voll dem Schutzstreifen zugerechnet (Differenz: 6cm), und als Basisbreite wurde mit 1,25m statt 1,5m gearbeitet (Differenz: 25cm). Selbst, wenn es in Dortmund gewollt ist, den Radverkehr in die Gosse zu schicken und Gullydeckel und Rinnstein dem Schutzstreifen zuzurechnen, sind das ca. 30cm weniger als die geplante Breite von 1,5m, die bereits zu schmal ist, um zu funktionieren. (Breite einschl. Rinnstein/Gullydeckel: 114-126cm, Mittelwert 121cm).
Wo Autos parken, verläuft der Schutzstreifen vollständig in dem Bereich, in dem Radfahrende wegen der Gefahr geöffneter Türen nichts zu suchen haben. Dass vergessen wurde, die Parkplätze nur für Pkw zuzulassen, spielt eigentlich keine Rolle mehr, denn bei dieser Breite ist der Streifen auch dann unbenutzbar, wenn dort nur Pkw parken.
Wir haben bei der Stadt nachgefragt und werden berichten, was da passiert ist und wie das Problem gelöst werden soll.
Spekulationen
Eine Antwort haben wir noch nicht, so dass wir nur vermuten können. Neben einem Fehler der Markierungsfirma wäre denkbar, dass es bei der Zusammenarbeit mit den Stadtwerken DSW21 zu Fehlern gekommen ist. DSW21/Phoenix See Entwicklungsgesellschaft hat aus dem Erschließungsvertrag Phoenix See noch die Verpflichtung, entlang der Kohlensiepenstraße/Meinbergstraße einen Parkstreifen und einen Gehweg zu erstellen und zu finanzieren. Um die Einsparpotentiale einer deutlich größeren Baumaßnahme nutzen zu können, hat man zusammengearbeitet und DSW21 die Gesamtausführung übernommen. Da könnte in der Kommunikation etwas schief gelaufen sein.
Wahrscheinlicher ist, dass der Grund bei der neuen Busverbindung liegt, die dort auf Anregung der Bezirksvertretungen Hörde und Aplerbeck verlaufen wird. Da sie erst nachträglich eingeplant wurde, ist möglicherweise jemand auf die Idee gekommen, dass eine Kernfahrbahn von 4,5m für den Begegnungsfall von Linienbussen nicht gerade üppig ist – um dann ein wenig an den Schutzstreifen zu knabbern. Da hätten wir dann wieder den klassischen Fall: Man beginnt mit Mindestmaßen, die so gering sind, dass sie eigentlich nicht funktionieren können, anschließend werden zusätzlich Zielkonflikte zulasten des Radverkehrs gelöst, weil man ja auch mal Kompromisse machen muss, und keiner der planenden Autofahrer versteht, dass der Nutzen der Radinfrastruktur längst gekippt ist und das Ergebnis dramatisch viel schlechter ist, als wenn man gar nichts für den Radverkehr geplant hätte.
Stattdessen wird von „Lückenschluss“ geredet.
Reiner Mischverkehr bei Tempo 50 ist eine schlechte Lösung, weil man damit weite Teile der Bevölkerung vom Radverkehr ausschließt – aber schmale Gefährdungsstreifen im Türbereich parkender Autos sind noch viel schlimmer. Im Fall der Meinbergstraße wäre reiner Mischverkehr ohne Pinseleien sogar relativ unproblematisch, weil das Verkehrsaufkommen so niedrig ist, dass man sich fragt, warum man die Straße nicht aus dem Vorbehaltsnetz herausgenommen und als Tempo-30-Zone ausgebaut hat.
Aber das ist alles Spekulation. Wenn wir eine Antwort über die tatsächlichen Hintergründe haben, werden wir berichten.
1 Österreichische Mehrzweckstreifen entsprechen im Wesentlichen den deutschen Schutzstreifen, mit dem Unterschied, dass Mindest- und Regelbreite dort 25cm höher sind (1,5m statt 1,25m bzw. 1,75m statt 1,5m).
2 Pressemeldung Stadt Dortmund vom 9.12.2016 „Hergestellt wird eine 7,50 Meter breite Straße, deren Fahrbahn wegen der beidseitigen jeweils 1,50 Meter breiten Radfahrstreifen auf 4,50 Meter verengt ist.“ Der Begriff Radfahrstreifen ist natürlich falsch, es geht um Schutzstreifen. Irgendwo zwischen Pressemeldung und Markierung muss eine größere Dosis elektromagnetischer Schrumpfstrahlen zum Einsatz gekommen sein.
Pingback: links vom 11.06.2018 | endorphenium
Ob es dafür Fördermittel des Landes gibt, dass die dann hinterher als Radverkehrsförderung des Landes verkauft?
Nein. Von dem, was nicht von DSW21 gezahlt wird, zahlen 20% des umlagefähigen Aufwands die Anlieger nach Kommunalabgabengesetz und 80% die Stadt. Wären Fördermittel geflossen, hätten sie abhängig vom Fördertopf wegen Missachtung der ERA ggf. zurückgezahlt werden müssen.
Für ihren Anteil kann die Stadt doch Fördermittel beantragen, oder nicht?
Hat sie aber nicht, das kann man der Vorlage für den Finanzausschuss entnehmen. Alles Weitere per Mail, wir sollten die Leser nicht mit solchen technischen Details langweilen. Das Wesentliche ist unkompliziert: Die Schrumpfstreifen sind unbenutzbar, da muss eine Lösung her.
Ok. Ich habe keinen weiteren Klärungsbedarf dann.
Bei den von dir gemessenen Breiten stimme ich beim Fazit komplett mit dir überein.
80cm breiter Schutzstreifen ?
Das geht noch besser . In Hamm haben wir eine Straße da ist der Schutzstreifen 60 cm breit .
Deutschland glücklich Autoland
Gefühlt oder tatsächlich gemessen? Wenn das tatsächlich gemessen ist, ist das ein Kandidat fürs Guinnessbuch der Rekorde. 🙂