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Plant die „Grüne Hauptstadt“ weitere Verzögerungen für den Radschnellweg Ruhr? [aktualisiert]

Schotter im Getriebe? Die Realisierung des RS1 in der sogenannten „Grünen Hauptstadt“ könnte sich um Jahre verzögern. (Foto: Peter Maier)

Im Januar sorgten mögliche Verzögerungen für den Bau des Radschnellwegs Ruhr in Essen für Schlagzeilen: Es drohte eine Umweltverträglichkeitsprüfung für den Abschnitt entlang des Chemiebetriebs Goldschmidt, die ein Planfeststellungsverfahren erforderlich gemacht und mehrjährige Verzögerungen verursacht hätte. Nachdem das Landesumweltministerium klargestellt hatte, dass es keinen Bedarf für eine Umweltverträglichkeitsprüfung sieht, wurde schnell deutlich, dass das größte Hindernis für einen zügigen Weiterbau des RS1 die Pläne der Stadt Essen für das Eltingviertel sind. Dort sollen innenstadtnahe Wohnungen entstehen – und es gibt offenbar in Teilen von Politik und Verwaltung den Wunsch, dazu den Bahndamm, auf dem der RS1 verlaufen soll, möglichst weitgehend abzutragen. Bemerkenswert ist dabei die Begründung: Der Bahndamm sei eine Barriere, die das Eltingviertel von der Innenstadt trenne. Schaut man sich die siebenstreifige, stark befahrene, autobahnartige Verkehrsschneise Viehofer Platz an, stellt man sich allerdings schon die Frage, ob die eigentliche Barriere nicht doch eher südlich des Bahndamms liegt.

Nach Protesten von Radverbänden und Bevölkerung schien der Bahndamm im Februar dann gerettet zu sein: In einer Pressemitteilung der Stadt Essen hieß es bemerkenswert deutlich:
„[…] betreffen hauptsächlich den Abschnitt zwischen der Gladbecker Straße und der Schützenbahn. Der ehemalige Bahndamm soll hier in einer Höhe von sechs Metern und mindestens einer Breite von acht Metern störungs- und kreuzungsfrei weitergeführt werden.“

Auch die WAZ berichtete in einem Artikel, der offenbar nach Gesprächen mit Oberbürgermeister Kufen und Planungsdezernent Best entstand: „Die Stadt ist einverstanden, dass der Bahndamm für den RS1 in abgespeckter Form erhalten bleibt“.

Um so erstaunlicher ist es, dass in der am 6.4.2017 vorgestellten Machbarkeitsstudie zum Eltingviertel zwei der drei vorgestellten Varianten wiederum eine weitestgehende Abtragung des Bahndamms beinhalten. Nur bei der Umsetzung von Variante eins bliebe der Damm erhalten. Wenn man der WAZ glauben darf, favorisieren Politik und Verwaltung aber die komplizierte Variante drei, bei der der Bahndamm komplett abgetragen würde und der RS1 auf Hausdächern und durch Gebäude hindurch geführt würde. Auch bei Variante zwei würde eine Führung über Hausdächer erfolgen.

Eine gemeinsame Presseerklärung von SPD– und CDU-Fraktion scheint die Befürchtungen zu bestätigen: Die Behauptung einer Barrierewirkung (des Bahndamms, nicht des Viehofer Platzes) wird wiederholt und Uwe Kutzner, planungspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, wird mit den Worten zitiert: „Das Ziel muss eine Abwägung zwischen einem planerischen Kostennutzenfaktor auf [der] einen Seite und die Radfahrerfreundlichkeit auf der anderen Seite sein.“

Auch in der Presseerklärung der Grünen fehlt ein klares Bekenntnis zum Erhalt des Damms: „Wir Grüne verschließen uns nicht einer städtebaulich integrierten Variante [Anmerkung: Gemeint ist die Abtragung des Damms]. Es darf aber nicht passieren, dass der weitere Bau der Trasse durch unrealistische städtebauliche Planungen übermäßig verzögert wird.“ Da die Verzögerung durch das Abtragen des Damms zwangsläufig entsteht, ist die Forderung, „übermäßige“ Verzögerungen zu vermeiden, weitgehend wertlos.

Die gute Nachricht ist, dass alle drei Varianten auf eine Absenkung des Radschnellwegs verzichten, so dass eine kreuzungsfreie Führung wohl gesichert ist. Auch eine ausreichende Breite von vier Metern für den Radverkehr mit separiertem Fußverkehr scheint gesichert zu sein. Die schlechte Nachricht ist, dass die komplizierten Varianten zwei und drei zu einer ganz erheblichen, mehrjährigen Verzögerung führen würden, weil zunächst der Bahndamm abgetragen und die Gebäude gebaut werden müssten, auf denen der Radschnellweg verlaufen würde. Zudem bieten diese komplizierten Varianten mit einem Radweg auf und teilweise in privaten Gebäuden und mit mehreren Brückenkonstruktionen zwischen diesen Gebäuden reichhaltige Gelegenheiten für spätere Konflikte und Probleme vom Bau über die Instandhaltung bis hin zur Verkehrssicherungspflicht. In der Machbarkeitsstudie werden die Verzögerungen und Probleme der Varianten zwei und drei nicht verschwiegen (Hervorhebung von mir):

„Es zeigt sich aber auch, dass man das Thema RS1 in deutlich variierender Präsenz in einer Entwicklung verankern kann. Von einer möglichst konfliktarmen Lösung mit der Führung auf dem Bahndamm über ein besonderes multifunktionales Verkehrsbauwerk bis hin zum baulich und thematisch stark integrierten Bestandteil eines Quartiers. Natürlich steigt die Komplexität mit Blick auf die Realisierung, je mehr der RS1 sich mit anderen Themen und Bauten verbindet. Sowohl in Bezug auf den zeitlichen Horizont, als auch baulich und nicht zuletzt bei Zuständigkeiten im Unterhalt, der Pflege und der Verkehrssicherungspflicht. Aber auch gerade diese Themen sind wichtige Erkenntnisse aus einer Machbarkeitsstudie und können neben der Abwägung von Hemmnissen auch als Ansporn, ein Modellprojekt im Umgang mit dem RS1 zu entwickeln, dienen – auch wenn der Realisierungszeitraum dann länger wird.

Weitere Informationen:

Pressemitteilung Stadt Essen vom 6.4.2017 mit Abbildungen der drei Varianten

Ausführlichere Darstellung der Varianten (Machbarkeitsstudie)

Weitere Informationen im Ratsinformationssystem der Stadt Essen

Radschnellweg RS1 soll über Dächer und durch Häuser führen (WAZ vom 6.4.2017)

Gemeinsame Presseerklärung von SPD– und CDU-Fraktion vom 7.4.2017, in der zu einer „Abwägung zwischen einem planerischen Kostennutzenfaktor auf [der] einen Seite und die Radfahrerfreundlichkeit auf der anderen Seite“ aufgerufen wird.1

Presseerklärung der Grünen vom 7.4.2017 ohne klares Bekenntnis zum Erhalt des Damms

Rad-Verbände sehen Ideenliste für Radschnellweg RS1 kritisch (WAZ vom 10.04.2017)

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Wer mag, kann sich über das Symbolfoto für den Radverkehr, das die SPD in der Pressemitteilung verwendet, so seine Gedanken machen. Von Radverkehrsförderung in der Schmalspurvariante bis hin zur verkehrspolitischen Geisterfahrerei ist da so einiges vorstellbar.

Peter Fricke

Peter aus Dortmund schreibt mit der Absicht, auch von jenseits der Stadtgrenzen zu berichten. Interessiert sich für Infrastruktur und die Frage, wie man des Rad als Verkehrsmittel für die große Mehrheit attraktiv machen kann. Ist leider nicht in der Lage, mit Falschparkern auf Radverkehrsanlagen gelassen umzugehen. Per E-Mail erreichbar unter peter.fricke, dann folgt das übliche Zeichen für E-Mails, und dann velocityruhr.net.

7 Gedanken zu „Plant die „Grüne Hauptstadt“ weitere Verzögerungen für den Radschnellweg Ruhr? [aktualisiert]

  • Mal sehen, meine Kinder sind noch Jung, aber werden mir irgendwann hoffentlich eines Tages Enkel schenken.
    Ich hoffe dass der RS1 dann für diese eine schnelle Verbindung durchs Ruhrgebiet ist.

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  • Norbert Paul

    Wenn der RS 1 über oder durch private Gebäude führt, wird das die Kosten imens erhöhen. Politisches Grundwissen.

    Linerare Infrastrukturtrassen muss man in dicht besiedelten Ländern wie Deutschland zwingend erhalten, auch wenn sie akut nicht gebraucht werden. Raumplanerisches Grundwissen.

    Was bei der Planung dann folgen wird, wenn der RS 1 denn dann mal fertig gestellt ist:

    Die Bewohner der Häuser werden sich über Lärm und Müll beschweren. Spätestens wenn am Wochenende vom Fußweg aus die ersten Bierflaschen geflogen sind, wird der Weg in den Nächsten FR/SA und SA/SO gesperrt werden. Auch wenn die Leute beim Einzug vom RS 1 wussten, werden sie dann fordern, wegen der Nachtruhe grundsätzlich nachts den Weg zu sperren. Usw. Usf. bis irgendwann das Teilstück komplett gesperrt ist und man über eine schlecht zu findende Umleitung durch das Etling-Viertel fahren muss. Dann beschweren sich sicherlich da die Anlieger und es kommt zu Konflikten …

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  • MatthiasO

    Das raumplanerische Grundwissen bzw. ein gesunder Menschenverstand scheinen leider häufig nicht vorhanden gewesen zu sein. Teils wegen hochangesehener (oder penetranter?) Investoren und Unternehmen, für die die Städte dann doch einknicken, vom Grundkonsens abweichen, sich dabei aber auch immer wieder ordentliche Zusatzlasten aufbuckeln. Nicht nur wegen verärgerter Bevölkerung sondern auch wegen aufwendigerer Anlage von Rad- und Gehwegen, auf einmal notwendigen Brückenbauten, häufigeren Wegesanierungen auf Gefällestrecken usw.

    Schön zu sehen z.B. hier https://www.openstreetmap.de/karte.html?zoom=16&lat=51.44875&lon=7.20855&layers=0B00TT in Bochum, wo die Springorumtrasse einen Bogen inklusive Berg- und Talfahrt macht, weil ein Investor aktuell auf dem alten Bahnhofsgelände baut;

    hier https://www.openstreetmap.de/karte.html?zoom=15&lat=51.28385&lon=7.23622&layers=0B00TT in Wuppertal, wo die Nordbahntrasse über eine Hauptverkehrsstraße und fehlgeplant durch das neue Wohngebiet verläuft;

    hier https://www.openstreetmap.de/karte.html?zoom=17&lat=51.32742&lon=7.24489&layers=0B00TT in Sprockhövel, wo sich ein Bauer die Bahntrasse einverleibt hat und die Radstrecke jetzt steil bergauf und bergab führt.

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    • Norbert Paul

      Irgendwo im Ennepe-Ruhr-Kreis soll doch auch eine Straße ausgebaut werden und dann die Bahntrasse, die als Rad- und Gehweg genutzt wird, unterbrochen werden. Weiß gerade nur nicht mehr wo das war.

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  • MatthiasO

    Du meinst die L70n in Sprockhövel. Hast Du vorletztes Jahr auch hier gepostet. Immerhin sieht der Planfeststellungsbeschluss ja eine Brücke vor. Warum das aber eine Geh- und Radwegebrücke werden muss und man nicht z.B. den Geh- und Radweg leicht nach unten und die Straße leicht nach oben verlegt, was insgesamt wegen der deutlich geringeren Spannweite der Autobrücke wahrscheinlich die gleichen Kosten verursacht, ist schon ziemlich rätselhaft. Logische Lösungen? Lachhaft! Lieber links liegen lassen.

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  • Norbert Paul

    Greenpeace sagt:

    „Essen ist Europas Umwelthauptstadt 2017. Als Begründung für die Auszeichnung wurde vor allem die Vorbildrolle Essens im Kontext des Strukturwandels sowie die Bestrebungen hin zu einer „lebenswerten Stadt“ genannt. Zu einer solchen lebenswerten Stadt gehört auch Raum für Radfahrerinnen und Radfahrer sowie Fußgängerinnen und Fußgänger sowie ein Plan, den hohen Anteil des motorisierten Verkehrs zu reduzieren. Auch Essens Stickoxid und Feinstaubwerte liegen im gesundheitsgefährdenden Bereich und weit weg von den Idealen einer grünen, gesunden Stadt. Wenn die Stadt mit dieser Auszeichnung kein Greenwashing betreiben will, muss sie an diese Probleme ran und grundlegende Änderungen anstoßen.“

    https://www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/20170322_greenpeace_mobilitaetsranking_staedte.pdf

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