Radfahren so gefährlich wie gerne mal in den Medien behauptet? Eher nicht…
Immer wieder wird das Bild des gefährlichen Radverkehrs beschworen. Gleichzeit steht da natürlich die Frage im Raum, wie auffällig das Problem tatsächlich ist. Auch die jüngsten Beiträge in der WAZ mit den „Experten“ dramatisieren gerne die Tatsachen. Und gedruckt wird ja auch lieber Blut und Tod, sprich die leider häufig auch tendenziös verharmlosenden Verkehrsunfallberichte, um die sinkenden Auflagen aufzufangen.
Auch andere Blogger greifen das Thema auf, zumal die 25% Radverkehrsziele im Raum stehen, wobei fraglich ist, was davon nach der Grünen Hauptstadt 2017 noch erreicht werden soll. Bisher verfolgt das Tiefbauamt das Ziel nur dann, wenn es den Autoverkehr nicht stört, das Ergebnis sind abstruse Lösungen, die man aus dem Alltag leider zu Genüge kennt und die im Alltag, wie zuletzt im August, Menschenleben z.B auf den freien Rechtsabbiegerbeschleunigungsspuren fordern. Zum Glück ist das Aufstellen einen Ghostbikes ein sehr seltenes gruseliges Ereignis, ich werde mich aber auch zukünftig wieder daran beteiligen und hoffe es nicht tun zu müssen.
Hält man sich aber mal nüchtern an die veröffentlichten Zahlen der Polizei Essen, dann haben Unfälle mit Radfahrern eher Seltenheitswert. Es knirscht im Schnitt rund alle 1,4 Tage in Essen, sprich alle 30 Stunden ist ein Menschen auf einem Fahrrad an einem Unfall beteiligt, aber darin sind schon enthalten:
- Alleinverschulde Unfälle (Sturz durch Herzinfarkt, Bordstein, Laub, Eis, Alkohol,… Krankenwagen. )
- Fremdverschuldung (Umgefahren, Blumentopf abbekommen, oder wie die Polizei gerne verharmlost „übersehen“)
- Verursachte Unfälle (Die Sorte Arschl***er, die mit dem Fahrrad Fußgänger umfährt, zu laut Musik hört oder Rotlicht missachtet… (Sind übrigens 42% (n=110).
Bei der ersten Gruppe kommt halt der Krankenwagen und es wird ermittelt was passiert ist, wie vor einiger Zeit am Baldeneysee, wo ein Mann tot aufgefunden wurde. Natürlich spielen bei einer Risikobetrachtung auch andere Faktoren eine Rolle, wie die Verkehrsleistung, Wegestrecken, Alter etc. um eine Eintrittwahrscheinlichkeit zu errechnen. Und es gibt entsprechende Nutzergruppen, die stärker gefährdet sind (z.B. betagte Angstgeisterradler auf Gehwegen aufgrund fehlender Infrastrukturen) oder Alltagsfahrer, die routinierter radeln und vorrauschauend seltener beteiligt sind. Aber wie hoch ist der Anteil an dem alltglichen Wahnsinn da draussen?
Schaut man auf die nackten Zahlen, dann ist aber lediglich ein Bruchteil der Gesamtunfallzahlen(mit den drei o.g. Gruppen) mit Radbeteiligung. In Essen wurde neulich diskutiert, dass die Polizei auch mit dem Rad sich besonders um Radfahrer kümmern sollte. Angesicht der Tatsache, dass das mit dem Rad in Essen lediglich magere 5-7% der Wege in der Stadt zurückgelegt werden, die Radfahrer am lediglich zu weniger als 1,4% am Unfallgeschehen beteiligt sind, ist der Einsatz als Luxusproblem anzusehen und geht bei den angeblich knappen Personalressourcen an den tatsächlichen Hauptunfallursachen völlig vorbei.
Da einige der radelnde Zeitgenossen mit einer Mischung aus Mut und Dummheit ohne Beleuchtung unterwegs sind, sind die Kontrollen von Radfahrern generell zu begrüßen. Aber es dürfte sehr schnell zu einem Erkenntnisgewinn kommen, dass die Kapazitäten der Beamten im Alltagseinsatz von einer ganz anderen Gruppe der Verkehrsteilnehmer beansprucht wird: Den Autofahrern.
Pedelecunfälle waren 2015 offensichtlich so selten, dass sie überhaupt keine Relevanz haben gesondert aufgeführt zu werden. Statistisch habt ihr also erstmal sehr viele Autounfälle, dann Fußgängerunfälle, bevor ihr mit dem Fahrrad beteiligt seid. Das Risiko könnt ihr nochmal halbieren durch gutes Benehmen im Straßenverkehr (wenn ihr also nicht die 3. Gruppe aktiv bedient). Im günstigsten Fall ist das der „Alleinunfallherzinfarkt“ mit 89 Jahren mit dem Rad an einem schönen Sommertag.
Fahrt Vorsichtung, glaubt nicht jeden Kram der in der Zeitung steht und nehmt Rücksicht…
Ich habe mich heute über eine Anzeige der Stadt Essen erfreut. Sie wirbt mit den aktuellen Werten bei den Bus- und Bahnlinien (wird wohl eher weniger werden bis 2035) und der Radweglänge, aber mit der völlig aus der Luft gegriffenen 25 % Radverkehrsanteil 2035. Dieser Wert ist unter Fortschreibung des Ist-Zustandes so plausibel und richtig wie jeder andere Wert auch, der jenseits der 10 % liegt. Bisher fehlt es ja an Konzepten, wie man 20 % Anteil in 20 Jahren vom MIV auf dem Radverkehr verlagern will. Jede substanzielle Verlagerung in der Hinsicht ist aktuell utopisch und wird ganz sicher nur zu Lasten von ÖPNV und Fußverkehr gehen in allen Ruhrgebietsstädten. Genauso gut könnte Essen mit 2 % Arbeitslosenquote bis 2035 oder 1 Mio. Einwohner bis 2035 werben. Oder damit das Autoabgase bis 2035 gesund sind.
die 25% sind im Zuge der Vorbereitung für die GHE-Bewerbung (am Anfang auch mit DO/BO u.a.) schon lange im Gespräch und waren mit den beiden Bewerbungen von Essen dann auch offiziell. über die entsprechenden Pläne der Stadt hatten wir auch lange gemutmaßt, bis neulich Vertreter der Stadt bei einer Veranstaltung eingestanden haben, dass sie absolut gar keinen Plan haben.
Für die hohen Werte kann ja nicht die Verwaltung alleine sorgen – da braucht es auch einen starken politischen Willen und auch mal den Mut, zunächst als kritisch empfundene Entscheidungen zu treffen. Ansonsten gibt es auf Verwaltungsseite immer die Diskrepanz zwischen den beiden Seiten, dass einerseits die Politik bestmöglich beraten werden sollte, andererseits aber möglichst keine politische Richtung (zu eindeutig) bevorzugt werden soll. Letzten Endes benötigt es also auf allen Seiten richtige Entscheidungen, Rückhalt für Entscheidungen und vorhergehende Argumentationen und viel Präsenz des Themas in der Öffentlichkeit.
Zum eigentlichen Artikel: Der gefällt mir!
Ich nehme auch kritisch wahr, dass es en vogue zu sein scheint, ganz allgemein über Pedelecfahrende herzuziehen anstatt sich darüber zu freuen, dass sie unserer Sache einen großen Dienst erweisen. Aber okay, „unsere Sache“ – also die starke Präsenz im Stadtbild und die weitergehende Förderung des Radverkehrs – ist wahrscheinlich nur den Wenigsten als so konkretes Anliegen bekannt. Die meisten Menschen wollen einfach nur Fahrradfahren, der fachliche Diskurs interessiert vermutlich die meisten nicht.
Wenn schon über Fahrradunfälle berichtet wird, fände ich es auch gut, wenn in der Presse gerade beim „Klassiker“ Rechtsabbiegen (leider trifft der Begriff die Situation ja noch gut) das Fehlverhalten der Auto- und Lkw-fahrenden deutlicher thematisiert würde.
Hier also einmal eine provokante These/Forderung: Es wird ja häufig angemerkt dass die Presse nicht nur davon lebt, gute Nachrichten zu verbreiten sondern insbesondere auch davon, Schreckensbilder zu zeichnen und Ängste zu schüren. Weiterhin gilt Angst als eine der stärksten Triebfedern, die unser Handeln stark bestimmt. Wenn dem so ist, dann wäre es jetzt sinn- und verantwortungsvoll, diesen Mechanismus gesellschaftlich gewinnbringend und zielgerichtet einzusetzen. Anstatt das häufig verwendete Schema „Dann müssen Radfahrende an Kreuzungen eben besonders achtsam fahren“ weiterzuverfolgen und damit quasi nichts zu gewinnen, könnte ganz gezielt die Angst von Fahrzeugführenden vor Rechtsabbiegeunfällen geschürt werden. Immer beim Rechtsabbiegen sollten Autofahrenden Bilder von totgefahrenen Radfahrenden vor Augen schweben um sie zu vorsichtigem Handeln zu führen. Damit hätte man viel gleichzeitig erreicht: Die Kritik an der Presse, dass viele Ängste geschürt werden, würde in dem Fall von Kritik zu Lob, es gäbe deutlich mehr Menschen, die einen Schulterblick machen und damit deutlich weniger Rechtsabbiegerunfälle.
Bei rund 5% der Unfälle war Abbiegen und Wenden die Unfallursache, bei rund 2,5% Abstand.
Aufällig ist das die hohe Anzahl an Bagatellschäden nicht weiter klassifiziert wird. Lediglich für 2534 Unfälle wird die Hauptunfallursache ausgewiesen. 15783 Unfälle sind nur mit Sachschaden (Kat 5) klassifiziert.
Im Kern ist vieles im Unfallbericht eine Blackbox der Zahlen und schwer lesbar.
Interessanter Fakt ist auch, dass Unfälle ohne polizeiliche Erfassung eigentlich nirgends auftauchen (vermutlich bei den Krankenkassen). Dies zieht sich dann weiter zur Identifizierung von Unfallhäufungsstellen aus den sich Handlungsbedarf ableitet. Dazu kann ich noch eine Studie aus Münster besteuern:
„Die Dunkelziffer im untersuchten Zeitraum lag aus polizeilicher Sicht bei 1527 nicht
gemeldeten Unfällen. Dies bedeutet, dass ca. 68% aller Unfälle nicht erfasst wurden.
Da sehr wahrscheinlich auch Patienten nicht in einem Krankenhaus, sondern bei
einem niedergelassenen Arzt vorstellig werden, ist in der Realität sogar von einer
noch höheren Dunkelziffer auszugehen.“
Quelle: https://www.adfc-nrw.de/uploads/media/FahrradunfallstudieMuenster2009_Zusammenfassung.pdf