ImpressionenInfrastruktur

Gastbeitrag aus Zürich: pott by pedal

Es soll vorkommen, dass Menschen im Ruhrgebiet Urlaub machen und hier Fahrradfahren. So auch Felix aus der Schweiz, der mir auf der Baustellenradtour begegnete. Ich hab ihn spontan gebeten doch mal aus seiner Sicht den Radverkehr in der Region zu beschreiben. Vielen Dank für deinen Gastbeitrag:

 

pott by pedal

hi, ich war neulich ein paar tage im ruhrpott im urlaub. komme aus der schweiz. bin mit der bahn angereist.

super verbindung: zürich-essen in 6 stunden. als winterthurer – winterthur ist eine der ersten velostädte der schweiz (mit immerhin 13% fahrradverkehr am modalsplit) – war für mich klar: das ruhrgebiet wird mit dem rad erkundet. die fahrradausleihe habe ich von der schweiz aus organisiert. klappt alles super. das netz an radausleihstationen im ruhrgebiet ist ja wirlich toll. mein zug kam in essen um 22 Uhr an. hat noch schön gereicht, um das velo am hbf in empfang zu nehmen (ausleih schliesst um 23 uhr) und dann durch die rüttenscheiderstrasse zum hotel am grugapark zu radeln. tipptoppes citybike, helm und korb inklusive. leider ein bisschen schwer, aber leihvelos müssen halt robust sein.

Felix Schmid am Emscherkanalin den folgenden tagen dann täglich rund 50 km im sattel. wahnsinnig toll all die ausgeschilderten (themen-)radtouren. auf guten oft separierten radwegen und innerstädtisch auf markierten radstreifen. wieso haben die ein so gutes radwegnetz, fragt man sich. bis man merkt: vieles sind ehemalige industriegleis-trasseen, die die zechen mit den häfen verbanden. alles wunderbar flach, weil für die bahn angelegt. nur leider führen diese routen meistens an den zentren vorbei. sie folgen nicht der logik des pendelns sondern der logik des kohletransports und heute den bedürfnissen der freizeitkultur. verlässt man diese wunderbaren routen und sucht die zentren der städte, fällt auf: da läuft nur noch halb so viel mit velos. man sieht es an der geringen anzahl fahrradabstellplätze an den bahnhöfen und zentralen versorgungseinrichtungen. das ruhrgebiet ist ein freizeit-rad-eldorado aber kein alltags-veloland. wer fährt in essen mit dem rad zur arbeit? angesichts der vielen autos auf den einfallstrassen und v.a. den vielen autoparkplätzen selbst an best erschlossenen öv-hotspots, können es nicht viel sein. wo liegt der anteil velos am modal-split? schätzung: 5%. und wieviele erwachsene haben ständig ein auto zur verfügung? 80%? in zürich haben nur noch knapp ein Drittel der unter 28-jährigen einen pkw-führerschein. das ruhrgebiet – so die vermutung – liegt davon weit entfernt. schade, gerade für das velo wären die voraussetzungen gut: das land ist eben, und es wäre genug platz da, um abseits von hauptachsen radwege anzulegen, die von den verstreut liegenden zechensiedlungen (immer noch wohnort tausender) in die zentren führen, wo die heutigen arbeitsplätze und die öv-knoten liegen.

fazit: wenn die auto-abgase so schmutzig wären wie einst die rauchgase der kokereien, wäre der himmel über der ruhr immer noch grau. das kann sich ändern: gerade ist essen zur grünen hauptstadt europas gekürt worden. 2017 will man der welt vorführen, was man an freiraumqualität zu bieten hat, da gehört ein guter fuss- und radverkehr mit dazu! nicht für die touristen, nicht für die ruhr-triennale-besucher wie mich: nein für die ruhr-menschen selber braucht es eine gute, eine viel bessere alltags-radinfrastruktur. es bleibt noch zeit bis 2017, um in dieser hinsicht einiges anzustossen.

ein guter impuls sind die baustellen-radtouren der essener stadtverwaltung (ein grosses lob dafür an simone raskob und rolf fliss!). jedermann/jederfrau zu empfehlen. meistens sonntags. habe auch teilgenommen und sehr viel über die entwicklung der stadt erfahren (buchstäblich!). da sind leute dabei, die etwas bewegen wollen (buchstäblich!). auf meiner tour waren’s gegen 100: von der oma bis zum velofreak auf dem liegerad (simon knur).

toll! hoffentlich werden es mehr und mehr. und wenn all die teilnehmerInnen sich bis 2017 bei jeder tour lautstark mit ihren klingeln bemerkbar machen, dann erobert das velo zunehmend platz im ruhrgebiet. dann ist die kritische masse bald erreicht (www.facebook.com/critical.mass.essen). davon bin ich überzeugt.

ich bin gespannt, was uns das essnener jubeljahr 2017 in sachen radverkehr präsentieren wird. da schau ich dann sicher wieder vorbei – natürlich im sattel, gekleidet in mein neues handgefertigtes velo-t-shirt von arthurkopf aus gladbeck. die botschaft auf der front ist simpel: velo cool, auto doof.

felix schmid

 

 

Simon Knur

Planer, Falt- und Liegeradfahrer aus dem Sauerland, wegen der Liebe und dem Job im Ruhrgebiet. Seit 2012 bei VCR und beruflich unterwegs zu den Themen Infrastruktur, Abwasser, Klimaschutz und Klimaanpassung. Blogge mit dem lokalen Schwerpunkt Essen, Radschnellweg und Radkultur.

3 Gedanken zu „Gastbeitrag aus Zürich: pott by pedal

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