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Ergebnisse Bürgerbeteiligung Masterplan Mobilität Dortmund

In Dortmund wird aktuell ein Masterplan Mobilität erarbeitet.

Der Masterplan Mobilität 2030 ist ein städtisches Planwerk, das Leitlinien für die Mobilitäts- und Verkehrsentwicklung Dortmunds bis in das Jahr 2030 vorgibt. Er betrachtet alle städtisch relevanten Formen der Mobilität und weitere Zusammenhänge. Der Masterplan Mobilität 2030 ersetzt den „alten“ Masterplan Mobilität 2004 und wird in einem umfassenden Arbeitsprozess aus Analysen, Zieldefinitionen, Teilkonzepten und einer breiten Öffentlichkeitsbeteiligung entwickelt.

Kurz vor Jahresende gab es eine neue Beteiligungsrunde.

Der Masterplan Mobilität 2030 setzte vom 23. bis zum 27. November vergangenen Jahres wegen der Corona-Pandemie auf ein neues digitales Format der Beteiligung. Die Stadt hatte hierfür eine Digitale Mobilitätswoche ins Leben gerufen, um in sechs kurzen Videos die Strategien zu den sechs Schwerpunkt-Themen: Fußverkehr, Barrierefreiheit, Radverkehr, Verkehrssicherheit, Parken und Öffentlicher Raum vorzustellen. Die Bürger*innen haben diese Strategien anschließend bewertet.

In der Pressemitteilung heißt es weiter, es gäbe eine hohe Beteiligungsquote. Etwa 1.500 Menschen hatten sich die Mühe gemacht, sich durch den Fragekatalog bis zum Absenden durchzuarbeiten. Gemäß der Auswertung der Stadt wären die meisten Ansätze mit „genau richtig formuliert“ bewertet worden. Eine kumulierte Auswertung in der die sicherlich durchaus kritischen Anmerkungen aus den Freitextfeldern nicht vorkommen gibt es nun online.

Die Zustimmung oder Ablehnung einer Zielformulierung konnte man durch die Auswahl von

  • Ansatz geht in die völlig falsche Richtung
  • Ansatz sollte abgeschwächt formuliert werden
  • Ansatz ist genau richtig formuliert
  • Ansatz sollte mutiger formuliert werden

zum Ausdruck bringen. Eine klassische Nominalskala. „Hierbei handelt es sich lediglich um eine Klassifikation von Objekten nach der Relation Gleichheit oder Verschiedenheit.“ (Diekmann 2008: 285). Ich stimme zu, ich stimme nicht zu und ich stimme teilweise zu, wobei für letzteres zwei Antworten existierten, um gleichzeitig mit auszudrücken, worin die teilweise Ablehnung besteht. In der Auswertung wurde dann daraus eine Ordinalskala gemacht mit der „eine Rangordnung der Objekte bezüglich einer Eigenschaft vorausgesetzt wird“ (Diekmann 2008: 286).

  • Ansatz geht in die völlig falsche Richtung = -2
  • Ansatz sollte abgeschwächt formuliert werden = -1
  • Ansatz ist genau richtig formuliert = 0
  • Ansatz sollte mutiger formuliert werden = 1

Also wollte man wohl die Zustimmung messen, nur ist die Begriffliche Übersetzung missglückt bei der Entwicklung der Skala.

[Ordinal]Skalen können [bei Skalenfragen] eine gerade Anzahl oder eine ungerade Anzahl an Werten besitzen. Gerade Skalen haben keine Mitte und damit auch keinen neutralen Wert. Es lassen sich auch symmetrische Skalen erzeugen, etwa von –2 bis +2. Solche Skalen eignen sich, wenn die Frage eine negativ/positiv Zuordnung zulässt.

Ein nicht unwesentlicher Teil der Nachwuchskräfte der Stadt Dortmund im Bereich Planung bzw. beim durchführenden Büro hat an der TU Dortmund Raumplanung studiert und im Pflichtmodul zu empirischen Erhebungsmethoden gelernt, dass man bei diesen Skalen keine Durchschnittswerte berechnen kann. Trotzdem wurden die in der Auswertung berechnet. Was soll bitte bei dieser Skala 0,10 als Durchschnitt zu „Parkregelungen müssen besser eingehalten werden – das bedeutet: keine Duldung, sondern eine strikte Ahndung aller Parkverstöße.“ bedeuten? Das sollte ein i-Tüpfchen mehr mutiger formuliert und das ist dann ein von allen getragener Kompromiss?

An der also methodisch angreifbaren Erhebung haben dann vor allem Bürger*innen teilgenommen, die zu Fuß gehen oder mit dem Rad fahren.

Bei der Bearbeitung sollten die Teilnehmer*innen dann u. a. beurteilen, ob gesetzliche Vorgaben in Dortmund eingehalten werden müssen. Die Ziele

  • Die Stadt Dortmund sollte umfassende Barrierefreiheit für Alle herstellen – das bedeutet, dass öffentliche Wege, Plätze und Gebäude für alle ohne fremde Hilfe zugänglich sein müssen.
  • Barrierefreiheit gilt für den gesamten Weg – das bedeutet, dass der Umstieg zwischen Verkehrsmitteln (z. B. Rad, Bus und Bahn, Auto) immer barrierefrei sein muss.

stehen angesichts von § 70 I BGG NRW schlicht nicht zur Debatte.

Bauliche Anlagen, öffentliche Wege, Plätze, Straßen sowie öffentlich zugängliche Verkehrsanlagen und Beförderungsmittel […] sind nach Maßgabe der geltenden Rechtsvorschriften barrierefrei zu gestalten.

Bei den Freifeldern hat man die Anmerkungen geclustert und die je 10 häufigsten Themencluster aufgelistet. Da sieht dann z. B. so aus:

Anfangen kann man damit nichts. Ein Beispiel: Wird bauliche Trennung gefordert, damit man ungestört mit dem Auto durch die Stadt brausen kann? Oder wird auf die Gefahren der baulichen Trennung hingewiesen? Oder wird auf die Probleme von PBL für die Querungsmöglichkeiten des Fußverkehrs hingewiesen? Oder wird die flächendeckende Einrichtung von PBL (und damit regelmäßig die Asphaltierung von Vorgärten und Grünstreifen) gefordert?

Vergegenwärtigen wir uns nochmal das Ziel der Beteiligung:

Das Ziel der Digitalen Mobilitätswoche war es, die Bürger*innen über die Strategien zu informieren und über inhaltliche Ansätze abzustimmen, um einen gemeinschaftlichen Zuspruch zur Akzeptanz einer geordneten Verkehrswende in Dortmund zu erzeugen. Im weiteren Vorgehen fließen die Ergebnisse der Beteiligung wie üblich in die Planungen der sechs Schwerpunkt-Themen ein und werden mit dem begleitenden Arbeitskreis rückgespiegelt. Unter Berücksichtigung der Beteiligungsergebnisse werden die sechs Strategien etwa Mitte 2021 soweit bearbeitet worden sein, dass die politischen Gremien mit den Beratungen beginnen können.

Und die Stadt ist nach der Auswertung zufrieden:

Die meisten Ansätze aus den sechs Schwerpunkt-Themen wurden bewertet als „genau richtig formuliert“. Dadurch sind die Inhalte der Strategien bestärkt worden und erreichten bei den Teilnehmenden eine hohe Zustimmung. Dieser gemeinschaftliche Zuspruch der Bürger*innen trägt zur Akzeptanz einer Verkehrswende in Dortmund entscheidend mit bei. Einige Bewertungen der Bürger*innen – zum Beispiel zum Ausbau von Radwegen und Radverkehrsinfrastruktur – lauteten, dass die Formulierung des jeweiligen Ansatzes noch mutiger ausfallen sollte.

Gestern und oben bin ich ja schon mal auf die fehlende Repräsentativität der Beteiligung eingegangen. Auch nach dem Alter ist die Befragung alles andere als repräsentativ:

Wie man angesichts dieser Tatsachen von der hohen Zustimmung der Teilnehmer*innen argumentationskettenfrei zu der Aussage kommt, dass es einen gemeinschaftlichen Zuspruch der Bürger*innen kommt und daraus eine Akzeptanz einer Verkehrswende in Dortmund kommt, muss hier mangels plausibler Erklärung offen bleiben.

Nach der Auswertung wollen die Beteiligten im Durchschnitt minimal mutiger formulierte Ziele und haben damit im Durchschnitt nicht zugestimmt. Oder habe ich mich jetzt völlig verwirren lassen vor lauter kreativem Umgang mit empirischen Erhebungsmethoden? Nun heiß es, gespannt auf die mutiger formulierten Ziele zum Radverkehr zu warten.

Literatur:

Diekmann, Andreas 192008: Empirische Sozialforschung. Grundlagen Methoden Anwendung; Hamburg: Rowohlt.

Norbert Paul

Norbert Paul ist per PGP-Schlüssel erreichbar über die E-Mail-Adresse norbert.paul@velocityruhr.net

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