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Neue Studie zum Radverkehr

Aktuell werdet ihr wieder von einer Untersuchung zum Radverkehr im internationalen Vergleich lesen lesen. Diesmal von IPSOS. Da politische Entscheidungen sehr häufig auf Umfragen aufbauen, ist es von großer Bedeutung diese einordnen zu können, daher heute mal wieder ein genauer Blick auf eine Studie und wie der ADFC damit Bauernfängerei betreibt.

Was hat das Unternehmen untersucht? In den ausführlichen Ergebnissen (S. 35) erfahren wir, dass nur 28 Länder untersucht wurden, wobei selbst das Institut nur die Werte für 12 Länder überhaupt für repräsentatativ für die Bevölkerung unter 75 hält, in 11 Ländern nur für einen Teil der Bevölkerung für repräsentativ hält. Die Berechnung eines weltweiten Durchschnitts ist somit gar nicht möglich und der für die Länder berechnete Durchschnitt nicht repräsentativ. Wenn man all diesen Gründen zum Trotz einen berechnen will, erfordern die deutlichen Unterschiede in der Bevölkerungszahl, die Ergebnisse nach Bevölkerungszahl zu gewichten. Ein kleines Beispiel, warum die Gewichtung wichtig ist: Wir betrachten der Einfachheit halber eine Kontinent, in dem die Hälfte der Bevölkerung in dem einen Land und je ein Viertel in den beiden anderen Ländern lebt.

Land 1 2 3
Bevölkerung 25,00 % 25,00 % 50,00 %
Fahrten mit dem Rad je Tag 10 4 1
Durchschnitt ungewichtet: 5
Durchschnitt gewichtet: 4

Wenn man das dritte Land in zwei gleichgroße Länder teilt, ist der Durchschnitt leicht zu berechnen, da eine Gewichtung nicht nötig ist, da in allen vier Ländern gleich viele Einwohner leben: 10 + 4 + 1 + 1= 16. Der Durchschnitt liegt also bei 4 Fahrten pro Einwohner des Kontinents. Der ungewichtete Wert liegt in dem Beispiel also 25 % zu hoch.  Der Wert kann aber auch zu niedrig liegen.

Land 1 2 3
Bevölkerung 25,00 % 25,00 % 50,00 %
Fahrten mit dem Rad je Tag 1 1 4
Durchschnitt ungewichtet: 2
Durchschnitt gewichtet: 2,5

Hier liegt der ungewichtete Wert 20 % unter dem tatsächlichen Wert.

Wenn ihr das in eurem Tabellenkalkulationsprogramm nachrechnen wollt: =SUMME(B3:D3)/3 und =SUMMENPRODUKT(B2:D2;B3:D3). Funktioniert auch mit mehr Ländern genauso.

Wie aussagekräftig sind somit die Durchschnittswerte für die Welt und der Vergleich der Länderwerte mit diesem Durchschnitt?

In seiner Meldung zur Studie wird Deutschland direkt im ersten Absatz mit der Welt verglichen:

Drei Viertel aller Deutschen sind der Ansicht, dass dem Fahrrad eine wichtige Rolle bei der der Reduzierung des Verkehrsaufkommens (75%) und der Verringerung von Treibhausgasen (77%) zukommt. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Umfrage des Markt- und Meinungsforschungsinstituts Ipsos, die anlässlich des Weltfahrradtages in 28 Ländern durchgeführt wurde. Weltweit ist der Anteil derjenigen, für die Radfahren eine wichtige Rolle bei der Verkehrs- (80%) und Emissionsreduktion (86%) spielt, sogar noch etwas größer.

Ein Blick in die Auswertungskarten offenbart, dass die Untersuchung global also an den gleichen Problemen leidet, wie die Ergebnisse aus den 11 teilrepräsentativen Länder: Im Sample sind die gebildeten, wohlhabenden und/oder urban lebenden Menschen überrepräsentiert:

Nur in Indien, China, Niederlande und Polen fahren nach eigener Auskunft mehr Leute innerhalb der untersuchten Länder mindestens einmal die Woche Fahrrad in Deutschland.

Ein bisschen ratlos macht mich auch, warum die Studie nach dem bevorzugtem Verkehrsmittel für Entfernungen bis 2 km/1 Meile fragt. Auf diesen kurzen Strecken macht das Rad ja auch keinen wirklichen Sinn meistens.  Da geht man am besten zu Fuß. Dazu heißt es in der Meldung:

Weltweit nutzen lediglich 14 Prozent der Befragten am häufigsten das Fahrrad, um in ihrer Wohngegend kurze Strecken bis zu 2 Kilometern zurückzulegen

Dann wird auch noch der Zusammenhang dazu hergestellt, wie hoch der Anteil derjenigen ist, die Radfahren in ihrem Quartier gefährlich finden.

Je gefährlicher die eigenen Umgebung wahrgenommen wird, desto weniger wird das Fahrrad für Mikro-Strecken bevorzugt. Alles andere wäre auch fernliegend. Unklar bleibt dabei aber, ob es eine Korrelation oder Kausalität gibt oder ob nicht beides Dimensionen sind, die von einer dritten Variable abhängig sind, z. B. davon, wie über den Radverkehr gesprochen wird und/oder wie die Radfahr-Kompetenz ist.

Der ADFC nutzt Die Befragung für eine Pressemitteilung. Da erkennt man auch eine Antwort zu einer Frage, die die Befragung gar nicht betrachtet hat:

ADFC-Bundesgeschäftsführerin Ann-Kathrin Schneider sagt: „Die Ipsos-Studie bestätigt eindrucksvoll, dass mehr Radverkehr nicht von selbst kommt, sondern nur durch gute Radinfrastruktur, auf der sich die Menschen sicher fühlen.

So richtig wieder gegeben werden die Ergebnisse aus nicht. Aus

wird die Aussagen

Fast die Hälfte der Bundesbürger sagt, dass sie das Radfahren zu gefährlich findet.

abgleitet. 42 % ist für mich nicht mehr fast die Hälfte. Dass Deutschland im Vergleich zu den anderen Ländern und dem fragwürdigen Durchschnitt gut dasteht, passt nicht in das Narrativ, dass Radfahren in Deutschland unsicher ist und wird nicht erwähnt. Ob man in den Niederlanden auch von Radverbänden auf allen Kanälen nahegelegt bekommt, besser nicht Rad zu fahren? Wie das wohl die Wahrnehmung der Bevölkerung beeinflussen würde, würde sie wie in den Niederladen kommuniziert?

Auch mit der Untersuchungsgegenstand hat man so sein Problem und spricht von einer weltweiten Untersuchung, obwohl es nur ausgewählte Länder sind.

Eine Studie des Marktforschungsunternehmens Ipsos aus Anlass des UN-Weltfahrradtages zeigt, dass die Bevölkerung rund um den Globus das Radfahren als essenziell für die Erreichung der Klimaziele wahrnimmt.

bzw.

Den Zusammenhang zwischen als sicher wahrgenommener Infrastruktur und der Häufigkeit der Fahrradnutzung konnte die Ipsos-Studie jetzt weltweit nachweisen.

Mal sehen, was am Ende dann in den Medien auftaucht und ob das noch was mit der Studie zu tun hat. On deutlich wird, dass der  ADFC die Dominanz des Kfz-Verkehrs nicht in Frage stellt?

Schneider: „Die Menschen fahren wenig Fahrrad und viel Auto, weil sie Angst vor den schnellen und dominanten Autos haben. Diesen Teufelskreis müssen wir durchbrechen – durch gute und sichere Radwege flächendeckend im ganzen Land.“ 

Zum Abschluss noch ein Hinweis zur ADFC-Pressemitteilung. Im Zusammenhang mit der Forderung nach durchgängigen Radwegen, heißt es:

Damit Kommunen die notwendigen Spielräume zur fahrradfreundlichen Umgestaltung der Straßen bekommen, brauchen wir eine große Reform des Straßenverkehrs­gesetzes – dafür muss Minister Wissing noch in diesem Jahr mutige Vorschläge liefern.“

Wenn man von der Markierung von Radfahrstreifen und Schutzstreifen absieht (schließlich ist aus ADFC Sicht Farbe keine Infrastruktur), geht es wohl um bauliche Maßnahmen und der Bau von Straßen wird im Straßenbaurecht geregelt und das ist Länderrecht. Sagt das Grundgesetz.

 

Norbert Paul

Norbert Paul ist per PGP-Schlüssel erreichbar (Testphase) über die E-Mail-Adresse norbert.paul@velocityruhr.net

Ein Gedanke zu „Neue Studie zum Radverkehr

  • Peter Fricke

    Weil dazu immer mal Rückfragen auftauchen: Herr Paul schreibt hier als Kooperationspartner seine Privatmeinung. Er spricht nicht für Aufbruch Fahrrad Dortmund oder VeloCityRuhr, und unsere Arbeit und Positionierung findet natürlich unabhängig von der Meinung von Dritten statt.

    Antwort

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