Neue Schilder am Phoenixsee warnen vor schlechter Infrastruktur – Vorbild für den Radschnellweg Ruhr?
Rücksichtnahme ist eine gute Sache und kann viele Probleme entschärfen – und mehr Rücksicht könnte auch im Straßenverkehr die Situation für alle Beteiligten verbessern. Wenn es aber an einzelnen Stellen zu massenhaften Appellen zur gegenseitigen Rücksichtnahme kommt, kann man sich ziemlich sicher sein, das dort bei der Planung der Infrastruktur etwas schief gelaufen ist. Besonders schön kann man das am Phoenixsee in Dortmund beobachten, wo schlechte Infrastruktur zu so vielen Konflikten zwischen Fußgängern und Radfahrern führt, dass nun sogar – finanziert durch die Sparkasse Dortmund – Schilder mit der Aufforderung zur Rücksichtnahme aufgestellt wurden.1
Wegen der sehr hohen Zahl von Fußgängern und Radfahrern wurden die Verkehrsarten im Bereich des Sees separiert. Dabei wurden dem Radverkehr breite, asphaltierte Radwege (mit Freigabe für Inliner und Rollschuhfahrer, was relativ gut funktioniert) gebaut, und der Fußverkehr wurde mit drittklassigen Wegen abgespeist, sodass nun massenhaft Fußgänger die Radwege benutzen. Die Planungsfehler, die diese Konflikte verursachen, sind offensichtlich:
- Die Gehwege sind viel zu schmal für die enormen Fußgängermengen, die dort bei guten Wetter unterwegs sind. Spaziergänger wollen zu zweit oder auch mal zu dritt nebeneinander gehen und nicht ständig Gegenverkehr ausweichen, der dieselben Ansprüche hat. Teils sind auch zwei Gehwege vorhandenen, die beide zu schmal für die hohen Nutzerzahlen sind.
- Die Gehwege haben eine minderwertige Qualität. Fußgänger mögen wassergebundene Schotterpisten mit ihrer massiven Staubentwicklung bei trockenem Wetter und ihrer Schlamm- und Pfützenbildung bei feuchtem Wetter genauso wenig wie Radfahrer. Wenn dann direkt neben der Schotterpiste eine erstklassige, saubere und stöckelschuhtaugliche Asphaltstrecke liegt, fällt die Entscheidung natürlich nicht schwer.
- Die Beleuchtung ist nicht zwischen Geh- und Radweg platziert, sondern außen neben dem Radweg, so dass nachts der Gehweg teils im Dämmerlicht und teils ganz im Dunkeln liegt.
- Es gibt eine Reihe weiterer, weniger schwerwiegender, aber völlig unnötiger Planungsfehler (siehe Fotos ganz unten), die ebenfalls dazu beitragen, dass viele Fußgänger die Radwege benutzen.
Die genannten Probleme betreffen etwa neunzig Prozent der Wegstrecke um den See. Auf den übrigen zehn Prozent (im Westen, im Bereich des Hafens und der Hörder Burg) kehrt sich die Situation um: Dort entstehen die Konflikte durch Radfahrer, die in den reinen Fußgängerzonen (mit nochmals höherem Fußverkehrsaufkommen und umfangreicher Außengastronomie) ihr Unwesen treiben. Und wieder sind Planungsfehler die Ursache: Es wurde nicht bedacht, dass der radelnde Freizeitverkehr nicht nur neunzig Prozent des Sees umfahren und dann umkehren möchte, sondern dass er selbstverständlich eine oder auch mehrere vollständige Runden um den See machen möchte.
Nach einigem Hin und Her wurden weniger genutzte Teile der Fußgängerzone abseits des Sees für den Radverkehr freigegeben. Wer ortskundig und experimentierfreudig ist, kann sich durch diese freigegebenen Teile und kleinere Straßen durchwursteln und so die reine Fußgängerzone umfahren, um den See zu umrunden. Mehr als eine Notlösung ist das allerdings nicht: Auf den kleinen Straßen wird ständig ein- und ausgeparkt, so dass die Umfahrung mit Kindern nicht stressfrei ist. Das Befahren der freigegebenen Fußgängerzone in Schrittgeschwindigkeit ist auch nicht optimal und mit dem Bau von zwei engen Umlaufsperren hat die Stadt Dortmund schließlich wieder einmal gezeigt, dass sie keinerlei Vorstellung davon hat, wie eine angemessene Führung des Radverkehrs aussieht. Für Ortsunkundige sind die Umfahrungsmöglichkeiten mangels Markierung oder Beschilderung gar nicht erkennbar, so dass sie meist den offensichtlichen Weg durch die reine Fußgängerzone wählen. Probleme, die vermeidbar gewesen wären, wenn man bereits bei der Planung des Sees nachgedacht hätte.
Schlussfolgerung
Für den Phoenixsee ist die Lösung offensichtlich: Konfliktvermeidung durch breite Gehwege, Asphalt und eine klare Markierung der Umfahrung für Radfahrer im Westen.2 Das hilflose Aufstellen von Rücksicht-Schildern und halbherzige Maßnahmen (eine Verdichtung der wassergebundenen Decke im Sommer 2013 brachte nur vorübergehende Besserung3; nur an einer einzelnen Stelle wurde der Gehweg wohl tatsächlich verbreitert, aber wieder nur wassergebunden) reichen nicht aus. Und auch der Hinweis auf Zuständigkeitsprobleme (die Schotterpiste am Nordufer gehört der Emschergenossenschaft) löst keines der Probleme.
Aber auch jenseits des Sees wäre Konfliktvermeidung bereits im Planungsprozess wichtig.
So gibt es bei der Planung von Bahntrassenwegen immer wieder Meinungsäußerungen, wonach eine Breite von drei Metern (statt vier Metern oder mehr, sofern Platz vorhanden ist) für Fußgänger und Radfahrer ja eigentlich auch ausreichend sei, obwohl solche Breiten bereits bei den heutigen Radverkehrsmengen nicht funktionieren. Wenn die Radverkehrsmengen so deutlich steigen, wie die Ruhrgebietsstädte das immer ankündigen, werden solch unterdimensionierte Strecken noch für viel Gesprächsstoff für die Leserbriefspalten und Stammtische sorgen. Verschärfen kann man diese Konflikte noch durch wassergebundene Decken, auf denen Fußgänger und Radfahrer dann schon nach kurzer Zeit um die Stege zwischen den Schlaglöchern und Pfützen konkurrieren müssen.
Besonders wichtig ist die Konfliktvermeidung bereits im Planungsprozess natürlich bei bedeutenden Infrastrukturprojekten wie dem Radschnellweg Ruhr. Um so erschreckender ist es, dass auf der Modellstrecke in Mülheim genau dieselben Fehler gemacht wurden, die am Phoenixsee zu so vielen Konflikten führen: Ein zu schmaler Gehweg (zwei Meter) mit minderwertiger Oberfläche4 neben einem sauberen, gut asphaltierten Radweg. Dass es dort (je nach Wetter in unterschiedlichem Umfang) auch zu ähnlichen Konflikten kommt, sollte niemanden überraschen.
Die Mülheimer Innenstadt ist ein weiteres und besonders großes Problem des Radschnellwegs. Wer mitten auf einem Radschnellweg in einem hochfrequentierten Bereich eine entschleunigte Zone mit Aufenthaltsqualität plant, beherrscht die hohe Kunst der Konflikterzeugung in Vollendung: Auf einer Strecke von fast 400 Metern soll dort der Radverkehr (Durchgangsverkehr, der zügig voran kommen will, natürlich im Zweirichtungsverkehr) gemeinsam mit dem sehr zahlreichen Fußverkehr auf einer Breite von nur 3,80 m geführt werden.5
Diese Konfliktzone soll eine „Entschleunigung“ bewirken und als „Promenade mit hoher Verweilqualität“ ausgebaut werden. Mitten auf einem Radschnellweg. Ziel ist es, wie die Verwaltung in Vorlage V 15/0648-016 so treffend formuliert, „den Besucherinnen und Besuchern die Besonderheiten des Mülheimer Abschnittes [zu] verdeutlichen“.
Da kann man nur hoffen, dass die Sparkasse Mülheim7 schon Rücklagen gebildet hat für die vielen Rücksicht-Schilder, die dort für diese Verdeutlichung nötig sein werden.
Danke für den Artikel. Ein Teil der Probleme war mir vor lauter Problemen wie der fehlerhaften Verortung der Laternen gar nicht richtig aufgefallen bisher.
Zitat: „…sondern auch im Umgang mit Desire Lines könnte die Stadt Dortmund also noch viel von erfolgreichen Städten wie Kopenhagen lernen. Wenn sie denn lernen wollte.“
Kann sie. Aber nur wenn es um den „richtigen“ Verkehr geht:
(Schutzstreifen in Dortmund-Marten auf Höhe des CJD. Vor einigen Wochen war der Strich noch weiter links. Foto ist von gestern)