RS1 in Mülheim: Wenn Autofahrer Radschnellwege planen…
Die Stadt Mülheim hat ja eine ganz eigene Entwicklung, besonders der Radverkehr wird ja traditionell eher so geplant, dass er die Autos nicht stören soll. Von einem ernsthaften Verständnis das Radfahrer mehr als nur komische Fußgänger sind, ist man weiterhin weit entfernt. Im ganzen Stadtgebiet sind diverse Sperrbauwerke und Verbote ausgeschildert, die modernen Regelwerken oder StVO nicht entsprechen. Der Anblick des Radverkehrsplan von vor 20 Jahren, der immer noch auf weiten Teilen auf seine Umsetzung wartet, macht da nicht glücklicher, auch wenn man den sogar gelegentlich aushängt:
Faszinierend. Vor 20 Jahren im Rat in in #Mülheim Ruhr beschlossen, noch immer nicht umgesetzt. #Fahrradfrühling pic.twitter.com/MBuNyVSAq9
— Simon (@osis1980) May 14, 2015
Diese Woche dann der erneute Tiefschlag, die Vorstellung der Entwürfe zur Rheinischen Bahn vom HBF Mülheim zur anderen Ruhrseite. Plötzlich wird die Hochpromenade zur Flaniermeile und als Radschnellweg unterbrochen. In einem Entwurf ist nicht mal mehr eine Flächenzuweisung für Fußgänger und Radfahrer erkennbar. In anderen Städten und auf Bahntrassen in der Region hat man bereits negative Erfahrungen gemacht. Die Wuppertaler Nordbahntrasse wird ebenfalls von ihrem Erfolg überrollt, trotz einer Flächenzuweisung, die oftmals aber die Grundlage für eine Verständigung darstellt, da alle Nutzer ihren Raum erkennen können.
Beide Entwürfe sind nicht kompatibel mit den Anforderungen aus der Machbarkeitsstudie zum Radschnellweg Ruhr, da die Mindestmaße von 4m unterschritten werden. Die Vermutung liegt nahe, dass die Ausschreibung der Entwürfe diese Anforderungen nicht als Vorgaben beinhaltet. Es handelt sich im günstigsten Fall also um einen Fehler, oder im schlimmsten Fall um Vorsatz. Auch die Schlagzeile bei DerWesten, dass Radfahrer nicht überall rasen dürfen spricht eine eindeutige Sprache. Planung aus Sicht des Autofahrers, der ja oft die sehr schnellen Radfahrer, die mit knackigen 18 km/h „übersehen“ werden bei Tempo 60 in der Stadt, weil sie plötzlich auftauchen. Das hier Regelwerke, Absprachen und wissenschaftliche Erkenntnisse zu Radschnellwegen ignoriert werden, wird völlig ignoriert. Das bemerken auch andere Experten, die das Projekt RS1 beobachten:
Die festgesetzten Qualitätsstandards für den Radschnellweg RS1 werden in Mülheim nicht eingehalten -> unsicher! pic.twitter.com/5N1VIn89US
— Zukunft Mobilität (@zukunftmobil) August 22, 2015
Radfahrer werden hier durch die Verwaltung (auch sprachlich) direkt pauschal zu Störenfrieden degradiert. Eine intelligente Planung mit einer konfliktorientierten Kompromisssuche sieht anders aus. Dabei gibt es gute Gründe: Für das Zusammenleben brauchen Menschen Regeln, die abstecken wo die Freiheit endet und anfängt. Das können völlig simple Striche sein, die dem einen Raum zuweisen und dem anderen signalisieren, dass er dort aufzupassen hat. Das funktioniert weltweit hervorragend nach dem Muster.
Mit einer Ausnahme: In der autogerechten Stadt des letzten Jahrhundert, wird alles dem Auto untergeordnet. Da werden Radfahrer und Fußgänger gemeinsam mit den bekannten Konflikte an den Rand gedrängt. Genau dies geschieht aktuell in Mülheim, die Stadt streitet nicht für mehr und besseren Lebensraum in der Stadt, sondern für Parkplätze unter der Promenade und auf dem benachbarten Platz. Gleichzeitig stirbt die Innenstadt in einem Tempo, trotz der irren Anzahl an Parkplätzen, während die Menschen sich lieber an der neuen autofreien Zone an der Ruhr aufhalten. Und genau das wäre die Aufgabe der Verwaltung gewesen: Holt die Radfahrer und Fußgänger in die Stadt, nicht auf die Hochpromenade. Die zukünfitge Promenade ist ein großartiger Weg für Fußgänger und Radfahrer um schnell die Mülheimer Innenstadt besuchen zu können, sie genießen dabei den flüchtigen Ausblick, gerne mit einem Balkon, aber niemand schaut sich ernsthaft gerne länger die Parkplätze vor dem Rathaus an. Zumal es einige Meter weiter, eine zusätzliche Möglichkeit gibt.
Es bleibt am Ende das fahle Gefühl, dass in Mülheim der politische Wille, die fachliche Kompetenz für das Projekt nicht vorhanden sind. Und das ist richtig bitter für eine Stadt, die mit der höchsten Verschuldung pro Kopf mit ihrem Verkehrssystem am Rande des Kollaps steh. Die sich jetzt quasi weigert kosteneffiziente Verkehrsplanung für den klimafreundlichen Radverkehr mach vereinbarten Standards umzusetzen. Das hier Fördermittel als Begründung vorgeschoben werden, ist einmal mehr bizarr und ein unverantwortlicher Umgang mit Steuergeldern. Gebaut werden sollte nicht was gefördert wird, sondern was benötigt wird. Zumal gerade die Städtebauförderung gute Gestaltungsmöglichkeiten offen lässt. Radfahren ist anscheinend nur eine Freizeitbeschäftigung für Autofahrer, anders kann man sich diese Haltung nicht erklären. Für eine moderne Großstadt ist das 2015 allerdings keine Option mehr. Selbst aus der Nachbarstadt Essen hagelte es prompt völlig berechtigte Kritik durch den ADFC und die EFI.
Man kann es übrigens besser machen: In Zürich findet man eine ähnliche Situation vor. In den Bögen hat man keine Parkplätze geschaffen, sondern attraktive Ladenlokale, die vom alten Charme leben. Der Weg ist nur die Verbindung, die aber noch lange nicht so wichtig ist, wie in Mülheim.
in Mülheim schlummert das Potential weiter vor sich hin, direkt an der Innenstadt, an der neuen Ruhrbania, die noch nicht endgültig wachgeküsst ist. Die aktuellen Entwürfe sind aber keine Lösungen, sondern schaffen nur neue Probleme.
Enden möchte ich mit dem Appell, dass der RVR nur einen echten Radschnellweg in Mülheim langfristig unterstützen sollte, der diesen Namen qualitativ wirklich verdient. Qualitätsprodukte darf man nicht in der Marke und den Standards verwässern, entsprechend darf es hier keine Kompromisse geben.
Ergänzung: Laut Ratsinformationsystem handelt es sich um einen „Radwanderweg“ der durch die Stadt führt. Die Beschlussvorlage für diese Sitzung am 25.09.2015macht dabei noch einmal deutlich, dass die Tragweite und Bedeutung des Projektes in Mülheim tatsächlich noch nicht in den Köpfen angekommen ist. Was bisher nur eine Spekulation von mir war, ist damit dann wohl Gewissheit. Der RS1 wird also als Freizeitangebot angesehen und nicht als wichtige Alltagswegeverbindung zwischen den Städten.
Vielen Dank für viele gute und einleuchtende Worte!
Ich bin genau dort heute zum ersten Mal entlanggefahren und hab mir an den Kopf geklatscht, mehrfach. Der erste Grundsatz einer jeden Planung ist: Konsequenz. Am Teilstück in Mülheim ist nur konsequent, dass man das Konzept eines Radschnellwegs nicht beachten WOLLTE. Und genauso geplant hat. Ich wundere mich, dass der mediale Aufschrei nicht größer war. Lasst uns doch mal ein Teilstück einer örtlichen Autobahn mit einer Fußgängerzone mischen und schauen, was passiert…