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Wenn du überzeugter Radentscheider bist, solltest du diese Einschätzungen eines Professors auf keinen Fall lesen, wirklich nicht!

In einem Beitrag (Internationales Verkehrswesen 3/2000) schreibt Peter Pez, Professor an der Universität Lüneburg, zusammen mit Antje Seidel, dass es verschiedene Epochen der Radverkehrsförderung in Deutschland gab. Charakteristikum der ersten Phase über Jahrzehnte sei gewesen, dass man Separieren wollte, und dafür Radwege gebaut hat, auch mit dem Ziel, die Sicherheit des Radverkehrs zu erhöhen. Auch mit der der Renaissance des Rades änderte sich daran nichts. In der zweiten Epoche habe man sich dann zunehmend an die Niederlanden orientiert und die Führung auf der Fahrbahn auf Radfahrstreifen und Fahrbahnen eingeführt.

Demnach wäre Separation ein Planungsziel, dass man über Jahrzehnte schon praktiziert hat und gar keine neue Idee, die man aus den Niederlanden importieren muss, wie man es mit der Führung auf Schutzstreifen und Radfahrstreifen gemacht hat, die nun als deutscher Irrweg gelten sollen. Ganz schön verwirrend,

Sie schreiben weiter, dass für die heutige Lage eine fortwährende Konzentration auf bauliche Infrastrukturen kennzeichnend sei und dass dies auch mit der Förderpolitik zusammenhänge. 

Innerhalb der Verwaltungen sind Verwaltungsmitarbeiter […] in hohem Maße um die Definition von Projekten bemüht, die sich für Förderzuschüsse eignen. Dies sind neben größeren Radabstellanlagen vor allem Radwege und besondere Knotenpunktlösungen mit der Folge einer räumlichen Fixierung auf die Radverkehrsführung entlang stark befahrener Straßen. […] Für die Radverkehrspolitik ist das
mittlerweile eher schädlich, denn Anträge und Mittelbewirtschaftung binden Arbeitszeit und damit Planungskapazitäten in erheblichem Umfang.
[…] Damit setzt sich die Bau-Politik der ersten Entwicklungsphase nahtlos fort.

Die Forderung, man müsse alles ganz anders machen und mehr Infrastruktur bauen, steht demnach also in der Tradition der bisherigen Radverkehrsförderung, die man so vehement kritisiert. Die Radentscheide bewegen sich also vollkommen in den Logiken des Systems, was meine Leserschaft vermutlich nach den bisherigen Artikeln nicht wirklich überraschen dürfte, denn meine kritische Anfrage, wieso man den Autoverkehr als eigentliches Problem als mehr oder weniger fest gesetzte Größe sieht, konnte bisher keiner so recht ausräumen (und damit meine ich ein bisschen mehr, als die Aussage, man sei ja indirekt schon irgendwie gegen den Autoverkehr, aber das könne man, warum auch immer, nicht so direkt sagen. Andere Ziele zu verfolgen, als man vorgibt, finde ich unredlich.). Daher halte ich viele Forderungen der Radentscheide für nachhaltig im ursprünglichen Sinne, nämlich auf die dauerhafte Erhaltung des Systems gerichtet.

Zurück zum Artikel: Wer Fördermittel für Rote-Band-Durchschneid-Infrastruktur einwirbt, hat somit keine Zeit mehr, was für den Radverkehr in der Fläche zu tun. Gut, dass es mal jemand klar sagt.

Mit der Forderung nach Infrastruktur denkt man am Ende genauso, wie Planer, von denen man erwartet, sie sollen ganz anders denken als bisher.

Es sind aber nicht nur finanzielle Rahmenbedingungen, die diese Konzentration
auf teure Infrastrukturen fördern, sondern wohl auch Effekte der Ausbildungssozialisation. Die Befähigung zur textlichen und zeichnerischen Lösung komplexer baulicher Aufgaben unter Einhaltung von Regelwerkmaßen besitzt in der Verkehrsplanung einen nachvollziehbar großen Stellenwert.

Die Beschäftigung mit der Vielzahl kleiner, vermeintlich vernachlässigbarer Mängel in der Fläche, die dem Radler täglich das Fortkommen erschweren, werden jedoch nicht oder kaum thematisiert und gelten als Sisyphusarbeit, die keine Lorbeeren einbringt. Die Bereitschaft, sich mit Bordsteinkantenabsenkungen, Schieberillen/-rampen an Treppen oder Beschilderungsänderungen zu befassen, fällt dementsprechend gering
aus. Ob jedoch die Fixierung auf bauliche Infrastrukturen eine bessere Mittel-Wirkungsrelation aufweist, müsste längst kritisch hinterfragt werden. Der schlichte Umstand, dass in den vergangenen Jahrzehnten viele Bordsteinradwege gebaut wurden, wo sie tatsächlich benötigt werden, senkt den Grenznutzen weiterer Projekte.

Daher halten die beiden, was ich für sehr nachvollziehbar halte, etwas anderes für wesentlich:

Ein wesentliches Merkmal einer an Elementarbelangen des Radverkehrs orientierten Förderung muss daher die Herstellung flächendeckender Netzdurchlässigkeit und Barrierefreiheit sein. Nur so kann man einerseits der hohen Umwegeempfindlichkeit gerecht werden, die dem Einsatz der Körperkraft zur Fortbewegung geschuldet ist, andererseits dem Umstand, dass sich potenzielle Ziele überall im Nahraum befinden.

Wenn man das weiter denkt, schwindet die Bedeutung von Radschnellwegen. Das wiederum hat die Stadt Dortmund ja bereits erkannt, und dem Radschnellweg  keine besondere Priorität zugewiesen in der Planung und Umsetzung.

Norbert Paul

Norbert Paul ist per PGP-Schlüssel erreichbar über die E-Mail-Adresse norbert.paul@velocityruhr.net

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