Polizei Bochum formuliert Pressemitteilung überraschend ordentlich
Erst kürzlich berichteten wir, dass die Polizei Bochum – sagen wir – verbesserungsfähige Pressemitteilungen herausgibt, wenn es um Unfälle geht, bei denen Radfahrer*innen verletzt werden. In den letzten Wochen ging es so weiter. Mitte Februar kollidierte dann eine Radfahrerin mit einem Bus und wurde von einer nicht näher genannten Person oder Sache erfasst und zu Boden geschleudert. Auch ein Fußgänger wurde laut einer anderen Pressemitteilung vom gleichen Tag auf ein Auto von einer nicht näher genannten Person oder Sache aufgeladen und zurückgeschleudert. In einer Meldung zwei Tage später fügt sich eine Schülerin Verletzung zu, indem sie von einem Auto angefahren wird. Wenige Tage später suggeriert eine andere Meldung, Fahrradhelme könnten vor Gesichtsverletzungen schützen.
Es gibt natürlich radfahrende Menschen, die sich nicht korrekt verhalten. Mitte Februar berichtete die Polizei Bochum von einem Radfahrer der auf einem Gehweg eine Senioren zu dicht überholte woraufhin diese stürzte. Er flüchtete und stellte sich erst nach Medienberichten. Auch wenn Menschen zu Fuß unterwegs sind, ticken sie manchmal aus, wie ein Fußgänger in Wattenscheid, der eine Spiegel abgetreten hat. Dennoch sind meist die Menschen unfallverursachend, die hinter dem Steuer sitzen, wie die Polizei Dortmund in ihrem aktuellen Verkehrsunfallbericht (S. 12) schreibt:
Analysen im Zusammenhang mit der Verursacherfrage kommen zu dem Ergebnis, dass etwa jeder vierte Fahrradfahrer einen Unfall mit Personenschaden selbst verursacht hat, indem er die Vorfahrt missachtete oder fehlerhaft abgebog. In den mehrheitlichen Fällen jedoch setzen Kraftfahrzeugfahrer die Ursache für Verkehrsunfälle unter Beteiligung von Radfahrern. Konfliktsituationen entstehen hier zumeist ebenfalls bei Abbiegevorgängen oder Vorfahrtsfällen. Wie bei folgendem Unfall mit tödlichem Ausgang vom 25.01.2016: Ein Sattelzugführer übersah [in Lünen] beim Abbiegen von der Kurt-Schumacher-Straße in die Kupferstraße eine 81-jährige Radfahrerin, die ohne Helm unterwegs war.
Warum hier ein Helm erwähnt wird und was der hätte ausrichten sollen, bleibt unklar, es sei denn man möchte suggerieren, dass die Verunglückte ein wenig selber schuld sei. In dem gleichen Bericht wird – interessanterweise – ein Begriff in Anführungszeichen gesetzt, aber nur an einer Stelle (S. 23).
Motorradfahrer sind in Deutschland seit 1988 verpflichtet, auch am Tage mit eingeschaltetem Licht zu fahren. Dennoch werden sie immer wieder von anderen Verkehrsteilnehmern „übersehen“
Das alles sollte man im Hinterkopf haben, wenn man Pressemitteilungen der Polizei liest, bei denen es zu einer Beteiligung mit Radfahrer*innen kam. Zurück zur Polizei Bochum. Wir hatten um eine gesammelte Stellungnahme zu mehreren der genannten Meldungen gebeten. Aus Sicht der Polizei Bochum hätten wir jeweils zeitnah und telefonisch nachfragen müssen und nicht gesammelt und schriftlich. Wie dem auch sei: Gestern gab es dann plötzlich eine Meldung, die ok war, wenn man von der euphemistischen Überschrift („Zum Glück“) einmal absieht.
Zum Glück nur leicht verletzt: Lkw-Fahrer (45) übersieht Radfahrer (53)
[…] Gegen 8.40 Uhr fuhr er an diesem Tag durch den Kreisverkehr an der Wiemelhausener Straße. Beim Ausfahren in Richtung Universitätsstraße wurde er von einem Lastwagenfahrer (45 Jahre, ebenfalls aus Bochum) übersehen, der in den Kreisverkehr aus östlicher Richtung über die Wasserstraße eingefahren war. Der Lkw stieß gegen das Hinterrad, woraufhin der 53-Jährige auf die Straße stürzte und dabei leicht verletzt wurde.
Ein Rettungswagen brachte ihn zur weiteren Behandlung in ein Krankenhaus. Ersten Schätzungen zufolge entstand ein Sachschaden von rund 100 Euro.
Entweder treffen in der Meldung Fahrzeuge oder Personen aufeinander und im Rahmen der Gleichbehandlung mit dem Autoverkehr wird hier auch der Sachschaden am Fahrrad geschätzt, auch wenn ich das grundsätzlich eher überflüssig finde. im letzten Jahr hätte ich mich auch ein wenig am Übersehen gestört. Das hat sich für mich relativiert, nachdem Rasmus Richter im Dezember ein kritischen Artikel zur dieser Sprachkritik veröffentlicht hatte.
Fälle von grober Rücksichtlosigkeit oder völlig fehlgeleiteter Aufmerksamkeit kommen zwar vor und bestimmen dann oft tagelang die entsprechenden Medien, die große Masse der Unfälle ereignet sich aber, weil entweder die Informationen fehlten, um rücksichtsvoll zu handeln, oder aber weil die Aufmerksamkeit nicht dort war, wo man sie gebraucht hätte, um das Unglück zu vermeiden. […] Voraussetzung dafür, dass mehr Aufmerksamkeit einen Unfall verhindern kann ist, dass sich die Handelnden darüber bewußt sind, dass eine akute Situation vorliegt, die mehr Aufmerksamkeit erfordert. Eben dieser Zustand liegt bei den meisten Verkehrsunfällen nicht vor. Dazu ergeben sich kritische Situationen viel zu schnell, zu plötzlich. Noch absurder wird die Forderung nach mehr Aufmerksamkeit und mehr Rücksichtnahme, wenn man Verkehrssituationen untersucht, in denen gerade die Überschreitung der menschlichen Aufmerksamkeitsspanne maßgeblich zum tragischen Ausgang der Situation beigetragen hat. […]
Wenn nach schweren (Fahrrad-)unfällen die Kommentarspalten der Onlinemedien und Tageszeitungen sich mal wieder über den zur Stammtischweisheit verkommenen § 1 Abs. 2 StVO hermachen und in moralingesättigter Lösung mehr Rücksichtnahme und Aufmerksamkeit einfordern, so offenbart dies vor allem eine völlig naive, ja postfaktische Fehleinschätzung der vorliegenden Unfallmechanismen. Um so gefährlicher ist es, wenn dies dann nicht nur durch Laienmeinungen (also sowohl von Journalisten als auch Kommentatoren), sondern auch in den offiziellen Pressemitteilungen der Polizeibehörden geschieht. Denn mit dem Hinweis auf mehr Rücksichtnahme, mehr Aufmerksamkeit oder defensivere Fahrweise wird eine Art sanfter Alternative zu handfesteren, technisch-wissenschaftlich wirkungvolleren Methoden vorgegaukelt. […]
Oftmals beschränkt sich die Schadwirkung der Forderung nach mehr Rücksichtnahme und Aufmerksamkeit nicht nur auf Laiendebatten, sondern auch die Verantwortlichen Verkehrsplaner und Ordnungsbehörden greifen gerne darauf zurück. Für sie ist das aus einem anderen Grund praktisch: Sie können die Verantwortung für ihr eigenes Versagen hierdurch perfekt auf die Unfallopfer abschieben – und mit „Unfallopfer“ sind n diesem Fall ausdrücklich auch die Menschen gemeint, die dann später im Polizeibericht als Unfallverursacher aufgeführt werden. Viel zu oft war der Unfall aber bereits am Reißbrett vorhersehbar und resultierte daraus, dass Planer die Grenzen der menschlichen Aufmerksamkeitsspanne am Schreibtisch maßlos überschätzten.