Ohne Fahrradkurier keine Ratssitzung in Siegen
Das Siegerland gilt nicht als Gegend mit viel Radverkehr. Da wundert es nicht, dass Nachrodt-Wiblingwerde auf einen Radweg an einer Bundesstraße verzichten möchte wie Come-On berichtet, während anderswo ungeduldig auf einen solchen warten..
Dass ein Radweg gebaut werden soll, ist nicht neu. Doch plötzlich sollte nach Vorstellungen von Straßen.NRW für den Radwegebau die Verkehrsführung so verlegt werden, dass alle Autos und auch der Schwerlastverkehr über die Ehrenmalstraße als Einbahnstraße in Fahrtrichtung Altena „brausen“ müssten. „Das kommt gar nicht in die Tüte, dann brauche ich keinen Radweg, das Stückchen ist mir sowieso völlig egal“, wurde Bürgermeisterin Birgit Tupat während der Sitzung des Rates sehr deutlich, und ergänzte: „So ein Chaos, nur damit ein Verkehrsminister NRW am Ende seiner Amtszeit sagen kann, dass er 500 Kilometer Radweg irgendwo gebaut hat und davon 500 Meter in Nachrodt-Wiblingwerde.“
Gleichzeitig setzte bereits 2017 ein Logistik-Unternehmen in Siegen auf ein Lastenrad für die letzte Meile – VeloCityRuhr.Net berichtete. Inzwischen sind mehrere Lastenräder ganzjährig im Einsatz. In Siegen – nicht mal Mitglied in der AGFS NRW – beauftragt die Stadtverwaltung schon länger einen Fahrradkurier, um die Sitzungsunterlagen an die Ratsvertreter zu liefern, berichtet Stadtsprecherin Claudia Scheffler gegenüber VeloCityRuhr.Net. Ich kenne keine andere Kommune, die Fahrradkuriere in zentraler Funktion der lokalen Demokratie einsetzt.
Die Aufgabe des Fahrradkuriers sei es, die Unterlagen im Rathaus Siegen abzuholen und den Ratsmitgliedern möglichst schnell zuzustellen. Im Anschluss daran bestätigt er die Zustellung. So würde zugleich rechtssicher bestätigt, dass die Unterlagen zugegangen sein. Dabei handelt es sich um um 300-400 Seiten je Woche für ein Ratsmitglied, berichtet der Bürgermeister im Deutschlandfunk (ab ca. 13:15). Subtiler Nebeneffekt: Die Ratsmitglieder bekommen vorgelebt, wie leistungsfähig Fahrräder auch in Siegen sind. Mittlerweile erhalten nur noch vier Personen die Unterlagen in Papierform, während alle anderen digital arbeiten. Als ein Hacker-Angriff die IT lahmlegte, hatte die Stadt so eine Backup-Ebene und konnte die Ratsarbeit sicherstellen, indem wieder alle Ratsmitglieder beliefert wurden. Die Formulierungen in dem Beitrag sind da leider nicht sehr genau („quasi pensioniert“ ist nicht beamtenrechtlich zu verstehen). Eine Ausweitung auf andere Aufgaben wie z. B. die Auslieferung von Pässen, ist zur Zeit aber nicht geplant.
Ich bin mir sicher, dass das eine oder andere AFGS NRW-Mitglied, bei dem vor allem an der Selbstdarstellung als „Fahrradstadt“ gearbeitet wird, soetwas schon vor dem Probebetrieb beim Deutschen Fahrradpreis einreichen würde, damit es die Auszeichnung gibt, bevor der Probebetrieb wegen Ende der Förderung, konzeptioneller Fehler oder Desinteresse sang- und klanglos wieder eingestellt wird.