Weißt du, warum andere Städte sich die Essener Fahrradstraßen nicht als Vorbild nehmen dürfen?
Wenn es um Radverkehrsförderung geht, mangelt es nicht an Ideen, was zu mehr Radverkehr führen soll. An Beliebtheit gewinnen z. B. die Fahrradstraße.
Die Stadt [Essen] sieht in Fahrradstraßen ein Mittel, den Radverkehr sicher und schnell zu führen, die Routenführung zu verdeutlichen und Alternativen zu den Hauptverkehrsstraßen zu schaffen.
nationaler-radverkehrsplan.de
Für die Routenführung gibt es ein geeignetes Instrument: Die wegweisende Beschilderung. Aus der Beschilderung einer Fahrradstraße kann man nicht erkennen, wohin die führt – zumindest, solange man die StVO nicht nur als unverbindliche Empfehlung ansieht. Ein weiteres Geheimnis der Stadt bleibt, wodurch der Radverkehr im Vergleich zu Tempo 30-Zonen schneller und sicher wird, sind doch Kfz überall zugelassen.
Ich möchte an der Stelle nicht weiter in die Diskussion über das Für und Wieder einsteigen, sondern zu dem Problem bei der Darstellung der Essener Fahrradstraßen auf der Seite des Nationalen Radverkehrsplans kommen. Das Zitat stammt aus einer Darstellung des Difus, das z. Z. das Thema Fahrradstraßen im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums bearbeitet. Dort heißt es weiter:
Unter Umständen sind die vorgestellten Beispiele nicht in allen Belangen StVO-konform. Bei der Anlage von Fahrradstraßen sind selbstverständlich dennoch die Straßenverkehrsordnung (StVO), die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) sowie die aktuellen Regelwerke zu beachten.
nationaler-radverkehrsplan.de
Welchen Sinn mag es haben, Dinge positiv auf der Seite zu besprechen, die womöglich gar nicht zulässig sind und wo man das ahnt? Ich halte das für problematisch, weil das schnell als Best-Practice -Beispiel kopiert wird.
Korrekt wäre hier der Hinweis gewesen, dass die Essener Lösung zur Zeit schlicht nicht rechtskonform ist und so nur im Rahmen der Untersuchung zulässig sein kann und ansonsten das Schicksal des Soester Schutzstreifen droht. Die Unzulässigkeit von Piktogrammen in Fahrradstraßen hat auf oberster Ebene der Bund-Länder-Fachausschuss StVO durch Beschluss klargestellt. Diese Feststellung wurde in das Protokoll der 2. Verkehrsingenieursbesprechung 2019 des Landes Nordrhein-Westfalens aufgenommen. Das Protokoll wird als Erlass den untergeordneten Behörden zur Beachtung zugestellt, ist also verbindlich.
Demnach werden Fahrradstraßen ausschließlich mit der Anordnung des Zeichens 244.1 (Beginn einer Fahrradstraße) gekennzeichnet. Eine zusätzliche Bodenmarkierung kann allenfalls durch Aufbringung des Zeichens 244.1 auf die Fahrbahn erfolgen (vgl. § 39 Absatz 5 StVO).
Niederschrift der Dienstbesprechung des Ministeriums für Verkehr NRW mit den Verkehrsingenieuren der Bezirksregierungen und des Landesbetriebes Straßenbau NRW am 14. November 2019 in Düsseldorf – VIB II/2019, S. 16.
Solange aufgrund der Untersuchung noch keine StVO-Novelle erfolgt ist, verstoßen Städte in NRW somit gegen geltendes Recht, wenn sie in Fahrradstraßen Piktogramme aufbringen. Ob es eine entsprechende Änderung geben wird, wird frühestens Mitte des Jahres entschieden.
Damit wären dann noch lange nicht die in Essen ebenfalls aufgebrachten Pfeile korrekt. VZ 297 <Pfeilmarkierungen> gibt eine Fahrtrichtung vor (s. Anlage 2 lfd. Nr. 70 StVO) und ist somit ebenso wie die Fahrradstraße an sich nicht zur Wegweisung geeignet. Darüber hinaus gilt für sie wie für alle VZ, dass sie nur angeordnet werden dürfen, wenn sie zwingend notwendig sind, was – unabhängig von der fehlerhaften Anwendung – nicht der Fall ist, wenn sie nur etwas verdeutlichen sollen.
Egal ob man den Essener Ansatz gut findet oder nicht, ein Hinweis auf die tatsächliche Rechtsgrundlage sollte klar und deutlich dazu gehören anstatt das Problem zu verklausulieren.
Btw: Wenn Fahrradstraßen der Umwelt dienen sollen, sollte man nicht vergessen, dass nach aktuellem Wissensstand Abrieb von Fahrbahnmarkierungen die neuntwichtigste Quelle von Mikroplastik in der Umwelt ist und damit bedeutsamer als Kosmetik als Quelle. Schon von daher ist ein auf das notwendige Maß beschränkter Einsatz geboten.
Hi,
hat sich hier mittlerweile etwas Neues ergeben? Der Erlass der VIB ist von 2019, im Blogbeitrag heißt es, dass sich evtl. bis Mitte 2020 etwas neues ergeben soll. Nun haben wir April 2022 und ich habe heute in einem Gespräch wieder nur den Hinweis auf die VIB von 2019 als Begründung erhalten, dass man nichts anderes als das VZ 244.1 auf der Fahrbahn markieren könne. Hat sich hier tatsächlich seit 2,5 Jahren nichts getan?
Die StVO wurde in der Hinsicht nicht geändert. Mir ist auch kein neuerer Erlass des Landes NRW bekannt.