Grüner Verkehrsminister will mehr Ahndung von Falschparkern, Mannheim weitet daher Gehwegparken aus
Der „Erlass zur Überwachung und Sanktionierung von Ordnungswidrigkeiten im ruhenden Verkehr“ des Landes Baden-Württemberg (2020) wurde positiv aufgenommen, wurde damit eine Eindämmung des Parkinfekts der Städte erwartet. Im Erlass hieß es:
Die Verkehrssicherheit der BürgerInnen im Straßenverkehr ist der Landesregierung ein wichtiges Anliegen. Das Verkehrsministerium sieht es vor diesem Hintergrund mit Sorge, dass insbesondere in Kreuzungsbereichen sowie auf Geh- und Radwegen Verkehrsgefährdungen durch rücksichtloses Verhalten von VerkehrsteilnehmerInnen entstehen. […] Die Ende April 2020 in Kraft getretene StVO-Novelle stellt nun zum Teil adäquatere Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung, als dies bislang der Fall war. Die bestehenden und die neu geschaffenen Sanktionsmöglichkeiten gilt es nun konsequent anzuwenden und Handlungsspielräume zur Ahndung von Ordnungswidrigkeiten in vollem Umfang auszuschöpfen.
In der Ratsvorlage V698/2022 hält die Stadt Mannheim zwei Jahre später korrekt fest:
Die Stadt Mannheim hat keine Möglichkeit, dem Erlass des Ministeriums für Verkehr
Baden-Württemberg nicht zu folgen.
Der Erlass hat eine eindeutig ordnungspolitische Ausrichtung, wenn er als Maßnahmen
- Festsetzung des Bußgeldes
- Meldung an die zuständigen Behörden
- Abschleppen von Falschparkern auf Geh- und Radwegen
näher behandelt. Daraus macht die Stadt Mannheim in einem großen Projekt dann was völlig anderes. Die Stadt Mannheim schriebt:
Der Erlass regelt die Überwachung und Sanktionierung von Ordnungswidrigkeiten im ruhenden Verkehr, Verkehrsministeriums Baden-Württemberg (Stand Mai 2020). Danach ist Gehwegparken nur dort zulässig, wo es durch Anordnung erlaubt wird. Die Anordnung darf grundsätzlich nur getroffen werden, wenn die vom Land Baden-Württemberg vorgegebene Mindestgehwegbreite von 1,50 m zukünftig gewährleistet wird.
Die 1,50 m finden in dem Erlass aber im Abschnitt zum Abschleppen Erwähnung.
Regelmäßig ist das Abschleppen verbotswidrig abgestellter Fahrzeuge im Falle der Behinderung von anderen Verkehrsteilnehmern geboten und mithin rechtmäßig. […] Eine Behinderung im vorgenannten Sinne liegt insbesondere dann vor, wenn die Mindestbreite für Gehwege von 1,50 Metern (einschließlich Sicherheitsraum) unterschritten wird.
Wie kommt man darauf, dass bei 1,50 m Restbreite Gehwegparken angeordnet werden dürfe, wenn damit das Maß bezeichnet wird, ab dem abzuschleppen ist bei illegalem Gehwegparken, weil eine Verwarnung nicht ausreichend ist?
In der Ratsvorlage formuliert die Stadt als Ziel:
Die Erhaltung von Parkraum durch Umwandlung bisher rechtswidrig genutzter Gehwegflächen in zulässige Parkstände ist aufgrund der bestehenden Bebauung und der vorhandenen Verkehrsinfrastruktur im ganzen Stadtgebiet schwierig, wird jedoch, wo auch immer möglich, berücksichtigt. Vielmehr ist durch den legalisierten Parkraum im öffentlichen Raum mit weniger Fahrzeugen entlang der Straßen zukünftig zu rechnen.
Ob man damit weniger abgestellte Fahrzeuge erreichen kann, sei dahingestellt. Schon die Begrifflichkeit dient der Verschleierung. Parkraum ist per Definition Raum, den man qua Gesetz (=legal) zum Parken nutzen kann. Illegalen Parkraum gibt es anderes als illegales Parken nicht.
Erklärtes Ziel ist es also, dass es am Ende des Prozesses mehr Gehwegparken und mehr Parkmöglichkeiten insgesamt geben wird. Als Projektziel formuliert sie:
Die Voraussetzungen für rechtskonformes Parken am Straßenrand sind gegeben.
In Mannheim hat man also ein Recht überall zu parken. Und weiter:
Die Regelungen sind für alle Verkehrsteilnehmenden transparent. Verstöße können geahndet werden.
Das ist Rechtslage!?!? Und weiter:
Es besteht eine angemessene für den Fußverkehr nutzbare Gehwegbreite sowie eine ausreichende Fahrbahnbreite für
Einsatz- und Rettungsfahrzeuge. Parkraum bleibt erhalten, wo es rechtskonform möglich ist.
Unabhängig von einem wie auch immer definierten Bedarf ist das Ziel die Maximierung der Anzahl Parkmöglichkeiten. Und weiter:
Ebenso sind die Belange des Radverkehrs bei der Neuverteilung der Verkehrsflächen berücksichtigt.
Belange des Radverkehrs klingt immer gut, auch wenn man die hier doch mal näher hätte benennen können. Und weiter
Das Projekt unterstützt die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns.
Wie wird die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns durch Maximierung Parkmöglichkeiten unterstützt? Damit wird höchstens der Arbeitsaufwand der Verkehrsüberwachung reduziert, worauf der Landeserlass nicht abzielte.
Es stärkt das Leitbild Mannheim 2030 („Mannheim ist eine klimagerechte – perspektivisch klimaneutrale – und resiliente Stadt, die Vorbild für umweltbewusstes Leben und Handeln ist.“).
Und noch so eine Psydozusammenhang. Die Maximierung der Anzahl an Parkmöglichkeiten dient allein dem Leitbild der Automobilisierung der Gesellschaft und der kurzen Wege für Autonutzer. Ich bin mir nicht mal sicher, ob es dem Leitbild der autogerechten Stadt dient.
Das Ziel der Maximierung er Anzahl an Parkmöglichkeiten wird auch an anderer Stelle der Vorlage sichtbar:
Bei den Ortsbegehungen wurden Seitenräume angetroffen, bei denen der ruhende Verkehr auf Grünflächen und auf wassergebunden Decken zwischen Bestandsbäumen geduldet wird. Diese Stellen können nicht ohne weiteres vor Ort mit Parkständen überplant werden. Das Projektteam ist deshalb in engem Kontakt mit der zuständigen Abteilung des Eigenbetriebs Stadtraumservices 76.4 Grünflächen und prüft im Nachgang die einzelnen Standorte auf mögliche Parkstände im öffentlichen Raum. Auch die Möglichkeit zusätzlicher neuer Baumstandorte wird durch das Sachgebiet 76.23 Grün- und Freifläche geprüft. Nur so kann das 1000-Bäume-Programm wirklich umgesetzt werden. Hierbei werden soweit wie möglich im Rahmen des Baumschutzkonzeptes Parkstände mit notwendigen Mitteln angeordnet
Auch hier wird – was an sich schon problematisch ist – die Bedarfsanalyse übersprungen und direkt in Maximierung der Anzahl eingestiegen, was keinen Anreizt setzt, auf die Anschaffung eines Kfz zu verzichten. Die Ausweitung von Gehwegparken soll auch noch dazu dienen, für mehr Bäume in der Stadt zu sorgen. Auf solche Zusammenhänge muss man erst einmal kommen.
Ansonsten geht man hemdsärmelig vor:
Vor Ort wird ein Aufmaß der Straße erstellt und anhand der zur Verfügung stehenden Ressourcen eine Farbmarkierung im Seitenraum aufgebracht, die die neue Parkregelung vorgeben soll. Anschließend werden Fotos zu Dokumentationszwecken gemacht und eine mündliche verkehrsbehördliche Anordnung vor Ort erstellt und aufgenommen.
Da es keine Formvorschriften gibt, kann die Anordnung auch mündlich erfolgen, muss aber de facto trotzdem verschriftlicht werden, da nur so die Akte ihre Aufgabe der Nachvollziehbarkeit von Verwaltungshandeln erfüllen kann. Im Folgenden ist dann in der Vorlage von einer schriftlichen Anordnung die Rede.