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Traurige Wahrheit: Schutzstreifen in Dortmund schützt nur, wenn man ihn nicht benützt, und die Stadt interessiert es nicht

In einem Beschluss hat das Landgericht Saarbrücken Ende letzten Jahres (Hinweisbeschluss vom 12.09.2017 – 13 S 69/17) bei einer Fahrbahnbreite von etwas unter 7 Metern festgehalten, dass ein Abstand zu parkenden Kfz von rund 80 cm umständehalber noch (!) angemessen sei.

Wer an einem stehenden Fahrzeug vorbeifährt, muss nach dem allgemeinen Gebot der Gefährdungsvermeidung (§ 1 Abs. 2 StVO) einen angemessenen Seitenabstand einhalten. Für die Angemessenheit des Abstandes gibt es kein feststehendes Maß, sie ist abhängig von den jeweiligen Umständen, muss aber zumindest so bemessen sein, dass ein geringfügiges Öffnen der Wagentür noch möglich bleibt, wenn für den Vorbeifahrenden nicht mit Sicherheit erkennbar ist, dass sich im haltenden Fahrzeug und um das Fahrzeug herum keine Personen aufhalten (BGH, Urteil vom 24. Februar 1981 – VI ZR 297/79 = VersR 1981, 533; OLG Frankfurt NZV 2014, 454). Der beim Vorbeifahren einzuhaltende Seitenabstand darf nach den Umständen des Einzelfalles durchaus geringer sein als der beim Überholen und bei der Begegnung regelmäßig verlangte Mindestabstand von 1 m (vgl. etwa OLG Köln, Beschluss vom 10. Juli 2014 I-19 U 57/14 -, juris). Wie groß der Abstand zu sein hat, ist letztlich eine Frage des Einzelfalles, wobei es auf die Verkehrslage, Geschwindigkeit und die bauliche Situation, insbesondere die Breite der Straße, sowie die Art der beteiligten Fahrzeuge ankommt (zum Ganzen etwa Müther in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 14 StVO Rn. 18; Geigel/Freymann, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 27 Rn. 383, jew. m.w.N.).

Betrachten wir, das Urteil im Hinterkopf behaltend, die Wittener Straße in Dortmund.

Wenig Verkehr auf der Wittener Straße am Sonntag (Foto: Norbert Paul)

Die Fahrbahn hat eine Breite von ca. 7,80 Meter. In Blickrichtung geht es gut bergab. Der s. g. Schutzstreifen ist mit Markierung und Rinnstein 1,25 Meter breit und es wird ohne Sicherheitstrennstreifen zum Radfahrstreifen hin geparkt. Das bedeutet, dass der Schutzstreifen das Gegenteil von Schutz für Radfahrer*innen bedeutet, wenn man ihn benutzt, da er einen bei Gefälle direkt in den Öffnungsbereich der Autotüren leitet. Wenn man Gerichtsentscheide wie das zitierte kennt, weiß man, dass man hier als Radfahrer*in etwa einen Meter Abstand halten sollte zu den parkenden Autos, gerade weil man hier eher schnell fahren wird. Man fährt dann also links der Begrenzungslinie, um kein Haftungsrisiko einzugehen und lebenslange Folgewirkungen am Körper zu riskieren. Wenn man das macht, muss man mit Aggressionen anderer Verkehrsteilnehmer rechnen („Radfahrer*innen halten sich nicht an die Regeln, und ich muss sie nun erziehen.“), die es nicht gäbe, gäbe es keine Schutzstreifen. Der einzige Nutzen der Schutzstreifen ist hier eine optische Verschmälerung der Fahrbahnen. Dafür nimmt man billigend in Kauf, dass Radfahrer*innen schwer verletzt oder getötet werden, wenn sie in eine sich öffnende Autotür geraten. Wenn man Radverkehr als Verkehrsberuhigung einsetzt, ist dass unattraktiv und animiert keine*n zum Radfahren. Kein Wunder also, dass ortskundige Radfahrer*innen lieber durch die Wohnstraßen in der Umgebung fahren, auch wenn dies einen deutlichen Zeitverlust bedeutet. Im Juli letzten Jahres schreib ich im Juli daher eine E-Mail an die Straßenverkehrsbehörde:

Ich bin sparsam mit dem Begriff Gefahrenabwehr bei Anliegen, hier halte ich ihn aber für geboten. Entweder muss umgehend das Parken neben den Schutzstreifen (der ganz sicher nicht 1,50 + Sicherheitsanstand breit ist) umgehend effektiv unterbunden werden oder der Schutzstreifen muss umgehend entfernt werden.

Für welche Lösung entschied sich die Straßenverkehrsbehörde? Erst einmal für gar keine. Daher erneuerte ich mein Anliegen zwei Monate später:

Wie der Straßenverkehrsbehörde bekannt ist, ordne ich meinen Anliegen immer häufiger in der Wichtigkeit ein, indem ich ich z. B. schreibe „Wenn Sie mal in der Nähe sind, …“ In meinem nun fast 2 Monate zurückliegenden Schreiben habe ich hingegen betont, dass das vorgetragene Anliegen aufgrund eines BESONDERS HOHEM Gefahrenpotenzial für Radfahrer*innen ein zeitnahes Einschreiten erfordert. Auch eine ausgelastete Straßenverkehrsbehörde sollte in der Lage sein, auf Hinweise von sachkundigen Profibürgern in knapp 2 Monaten zu reagieren.

Auch wenn die Amtsleitung das Schreiben in Kopie bekam, passierte weiterhin nichts. Das darf man gerne im Hinterkopf behalten für den Fall, dass Dortmund vorgibt, die Sicherheit des Radverkehrs hätte eine hohe Bedeutung. Eine hohe Bedeutung haben hingegen Eingaben von Bürger*innen, die sich notorisch nicht an die StVO halten wollen (Motto: „Meine Steuern, Mein Bürgersteig, Mein Parkplatz“) und sich damit selber bezichtigen, für die Führung eines Kfz ungeeignet zu sein. In einem großen Artikel berichten die Ruhr Nachrichten heute mal wieder, dass Anlieger ihre notorische Ignoranz der Regeln zum Parken in der StVO von der Stadt legalisiert bekommen wollen. Laut Bericht bekommen sie zeitnah einen Ortstermin, um Möglichkeiten der Freigabe zu prüfen. Das hat traditionell in Dortmund nun mal höhere Priorität als Radverkehrssicherheit. Man kann Probleme sicherlich nicht dadurch lösen, dass man sie sich weiter ausbreiten lässt. In Bremen sieht sich die Verwaltung aktuell einer Fachaufsichtsbeschwerde gegenüber, wegen dem Weggucken beim Falschparken.

Über den eigentlichen Skandal berichten die RN natürlich weiterhin nicht: Auf Dortmunder  Straßen gibt es rechtsfreie Räume, in die sich die Verkehrsüberwachung  nicht mehr ohne Ankündigung rein traut. Dazu schweigen die ganzen  Parteien, die sonst alle möglichen Vollzugsdefizite anprangern, erstaunlich einhellig. Ein Skandal war für die Ruhr Nachrichten hingegen, dass nur einseitig Vorankündigungen verteilt wurden. Das vorgewarnt wird, ist rechtsstaatlich fragwürdig. Man stelle sich vor, Ordnungsmitarbeiter würden Dealer vor Drogenrazzien warnen. In Berlin bedeutete dieser Service für eine Polizisten, dass er sich nicht mehr um die Tagesgestaltung kümmern muss. Nur bei Verstößen mit dem Kfz gibt es die Besonderheit, dass die Verfolgung flächendeckend aufgegeben wurde und das die sporadischen Kontrollen auch noch angekündigt werden von den Behörden (man denke auch an die Bekanntgabe der Geschwindigkeitskontrollen). Entsprechende Anzeigen werden in Deutschland mangels öffentlichem Interesse sicherlich eingestellt.

Mit den Anmerkungen hätten wir dann die Zeit überbrückt, bis im Oktober dann immerhin die Nachricht kam, man sei mit dem Thema befasst. Das dauerte dann bis Januar mit dem Ergebnis, dass nichts passiert. Dies Stelle ist so unattraktiv, dass dort kaum jemand Rad fährt, sodass gar kein Unfallschwerpunkt nach amtlichen Verständnis entstehen kann. Es ist also kein Zufall, dass die Stadtverwaltung und die Polizei die Straße als unauffällig bewerten.

Auf das Problem der verdrängten Radfahrer*innen wies ich die Stadt dann hin. Und frug, ob in Überlegungen mit einbezogen wurde, dass man zu parkenden Autos mindestens einen Meter Abstand halten müsse? Darauf kam heraus, dass man die lediglich die Polizei um Stellungnahme bittet und sonst nichts weiter gemacht habe. Bei der Anfrage habe man aber auf die Ausführung der ERA zu den Sicherheitsräumen verwiesen. Das die hier fehlen, hat die Polizei offensichtlich nicht gestört.

In Dortmund gibt es viele weitere Stellen, wo die Stadtverwaltung nicht sehen will/darf, dass mit viel Geld kontraproduktive Radinfrastruktur geschaffen wird, die dazu führt, dass die gesteckten Ziele beim Radverkehrsanteil nicht erreicht werden. In der Sölder Straße sind es z. B. sogar nur etwa 1,20 Meter neben einem 1,80 Meter breitem Parkstand, auf den nicht mal Kleinwagen passen.

(Foto: Karl-Heinz Kibowski)

Norbert Paul

Norbert Paul ist per PGP-Schlüssel erreichbar (Testphase) über die E-Mail-Adresse norbert.paul@velocityruhr.net

2 Gedanken zu „Traurige Wahrheit: Schutzstreifen in Dortmund schützt nur, wenn man ihn nicht benützt, und die Stadt interessiert es nicht

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