InfrastrukturRadkultur

Zur Versachlichung der Debatte um die »Protected Bikelanes« II

Vor einem Monat habe ich mich bereits um eine Versachlichung der Debatte um die »Protected Bikelanes« bemüht. Wenn Christian Linow die Debatte nun Glaubenskrieg nennt, ist das sicherlich nicht ganz falsch.  Wer sich in dem Dschungel an Meinungen und wenigen Fakten zurechtfinden will, sollte ein paar Dinge berücksichtigen. Der Einfachheit spreche ich im Folgenden von PBL (Peotected Bikelanes-Fraktion) und VHC (Vehicular Cycling-Fraktion) die beiden Pole der Debatte, deren größtes Problem jeweils ist, den wichtigen Aspekt der anderen Seite nicht anerkennen zu wollen.

  1. Der wichtige Beitrag der VHC ist, dass die Straße eben nicht nur eine Autofahrbahn ist und es überhaupt nicht selbstverständlich ist, dass die Straße vom Auto dominiert ist, während die PBL die Autodominanz nicht wirklich in Frage stellt, sondern Schutz fordert vor dem Autoverkehr. So beseitigt man das Übel aber nicht. Der wichtige Beitrag der PBL ist, dass es eben nicht nur darum geht, was sicher ist, sondern was sich auch sicher anfühlt und das es eben nicht nur Vollblut-Radfahrer*innen gibt.
  2. Unklar bleibt bei der PBL, warum es nicht zu Verschiebungen kommen wird bei den Gruppen an Radfahrer*innen, wenn die Menschen mehr Rad fahren. Warum werden die Leute, wenn sie denn erst einmal Rad fahren, nicht die gleiche Kritik anbringen wie die Radfahrer*innen jetzt schon. Warum soll es mit einer steigenden Radnutzung nicht mehr Profis geben? Die VHC bleiben die Antwort darauf schuldig, wie aus einem Kind oder einem nicht radfahrenden Menschen ein Profi wird.
  3. Ein Großteil der Debatte ist allein schon deswegen problematisch, weil die Begrifflichkeiten falsch verwendet werden. Straße, Fahrbahn, Radweg, straßenbegleitender Radweg, Radfahrstreifen, Schutzstreifen sind alles eindeutige Begriffe.
  4. Auch wenn die PBL es andauernd behaupten, geht es der VHC in der Mehrheit nicht um die Abschaffung von Radwegen, sondern vor allem darum, sie nicht benutzen zu müssen.
  5. Obacht, wenn die eigene Erfahrung die zentrale Grundlage einer These ist. Es schadet nichts, Aussagen mal auf den Grund zu gehen. Dann stellt man z. B. fest, dass niederländische Radfahrer*innen ein höheres Mortalitätsrisiko haben.
  6. Bei Vergleichen muss man immer fragen: Was wird eigentlich verglichen? In den meisten Fällen vergleichen die PBL ihre Erfahrungen aus Deutschland (an das Negative erinnert man sich zudem besser als an das Positive) mit aus dem Internet bekannten Positiv-Beispielen. Das ist nicht mal mehr Äpfel mit Birnen vergleichen, sondern eher Kondome mit Apfelgeschmack mit Birnenkompot vergleichen. Gerne wird da auch mal der sommerliche Radurlaub in einem Nachbarstaat mit dem frustrierenden Alltag in der Heimat verglichen.
  7. Ganz große Vorsicht ist geboten, wenn über gesellschaftliche Trends gesprochen wird. Wenn Tim Lehmann in einem Interview in dem Bericht von Christian Linow sagt: „… dass das Alltagsradfahren in der Mitte der Gesellschaft angekommen …“ klingt das vor allem gut. Aber was die soziologische, empirische Basis sein soll, bleibt schleierhaft. Einen substanziellen Bedeutungsgewinn beim Radverkehr kann man bisher nicht belegen. Ein gesteigerte politische und mediale Aufmerksamkeit ist etwas anderes.
  8. Für die Verkehrswende ist vor allem entscheiden, dass möglichst die Summe und der Anteil der Auto-km weniger wird und zwar nicht nur im Sommer. Dafür ist es egal, ob 10 % der Bevölkerung ohne Autobesitz sehr viel Rad fahren oder 80 % mit Autobesitz für die anderen Wege nur hin und wieder. Ökologisch ist es aber besser wenn 10 % gar kein Auto brauchen z. B.
  9. „Mehr Radverkehr“ ist kein sinnvolles Ziel. Das entscheidende Ziel muss sein, das Verkehrsvolumen zu reduzieren und dabei den Anteil Kfz. zu senken.
  10. Die meisten Menschen bewerten „Direkt“, „ohne Umwege“, „glatte Oberfläche“, „ohne Steigung“ etc. positiv. Wenn man Lösungen zur Trennung präsentiert bekommt, kann man die Hierarchie der Verkehrsträger ganz schnell erkennen, wenn man überlegt, bei welchem die positiven Attribute am ehesten erfüllt werden. Das ganze kann man auch auf Netzebene betrachten. Und nur so am Rande: Viel Verkehr ist häufig da, wo die Ziele sind, d. h. häufig muss man mit dem Rad auch dort gut fahren können und nicht nur drum herum.
  11. Radfahren zwischen Kfz ist nicht entspannt und erfordert Aufmerksamkeit (auf Radwegen ist die aber meist genau so nötig). Aber das Problem ist es nicht, dass das Fahrrad als Fahrzeug da hin gehört. (Fahrradfahren zu einem schnellen Zu-Fuß-gehen zu machen, ist ein fundamentaler Rückschritt)
  12. Straßenbegleitende Radwege innerorts sind eine ganz andere Geschichte als straßenbegleitende Radwege außerorts oder eigenständig geführte Radwege. Das ist jeweils getrennt zu betrachten. (Wer es geil findet, zwischen LKW auf einer viel befahrenden Landstraße zu fahren, kann ich auch nicht mehr helfen.)
  13. Ich mag es nicht, wenn Menschen paternalistisch sind und meinen, sie wüssten, was für andere besser sei ohne von denen mandatiert zu sein, für sie zu sprechen. Daher ist es ehrlicher, wenn Leute ihre Interessen als ihre Interessen vertreten.
  14. Radverkehr zu fördern, indem man Infrastruktur baut, an deren Sicherheit es berechtige Zweifel gibt, leuchtet nicht ein. Ich will nicht mehr Radverkehr für den Preis, dass Menschen sich unnötigen Gefahren z. B. auf Schutzstreifen aussetzen. Es lohnt also, genau hinzuschauen, was sind die eigentlichen Ziele der Akteure. Häufig sind die diffuser und unklarer als es zuerst erscheint. „Radverkehr fördern“ kann zu unterschiedlich gefüllt werden.
  15. Fahrradstraßen bringen nur was, wenn sie Radwege mit Randbebauung sind ohne Kfz-Verkehr. Ansonsten ändert sich vor allem das Schild. Gewonnen wird dadurch nichts.
  16. Vorsicht vor einfachen Heilslehren, die vorgeben mit einer einfachen Lösung, dass komplexe Problem lösen zu können.

Update 18.12.2016 14:00

Ich habe mich in Punkt 4 vertan und PBL und VHC vertauscht und das nun korrigiert (Danke für den Hinweis, Pogge) und den Punkt 16 ergänzt.

Norbert Paul

Norbert Paul ist per PGP-Schlüssel erreichbar (Testphase) über die E-Mail-Adresse norbert.paul@velocityruhr.net

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