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Essener Bauprogramm im Radverkehr – Kleine Lichtblicke für die „Grüne Hauptstadt Europas“

Gute und sichere Radwege fehlen überall im Stadtgebiet der Stadt Essen. Nachdem man erst „Fahrradbeseitigungsstrecken“ baute, um dem Zeitgeist entsprechend die störenden Radfahrer von der Fahrbahn zu verdrängen, versucht man mittlerweile die eigenen politischen Zielen im Radverkehr 11% bis 2020) doch zu erreichen. Nachdem man lange Vorreiter war bei der Entfernung der seit 1998 oft illegalen Radwegebenutzungspflichten, steckt man heute in der technischen Zwickmühle. Das das Radbudget mit 500.000€ wirklich für 2016 zur Verfügung steht, weckt Hoffnung auf Verbesserungen. Und hoffentlich verfügt die Verwaltung auch über genug Personal, dass unseren engagierten Radbeauftragtenunterstützt, damit das Geld wirklich investiert werden kann und nicht doch Berliner Verhältnisse eintreten.

Aus dem politischen Beschluss:

Diese Maßnahmenlisten dienen als Arbeitsgrundlage für die nächsten Jahre. Aus en Listen wird von der Verwaltung jährlich ein Jahresprogramm mit einem Umfang von ca. 500.000 € zusammengestellt. Dabei erfolgt eine Priorisierung nach Netzrelevanz; das heißt Maßnahmen aus dem Hauptroutennetz (HRN) sollen nach Möglichkeit zuerst umgesetzt werden.

Nach den spärlichen4,5 km Radwegeneubau in den letzten fünf Jahren (Das sind umgerechnet wohlwollend ca. 2 m/Arbeitstag an Farbarbeiten) soll der Stillstand jetzt wieder aufgebrochen werden. Was dem Hauptroutennetzt weiterhin fehlt, ist das Ziel eines einheitlichem baulichen Standards. Die im Rat 500.000€ pro Jahr zur Verfügungn gestellte Mitteln können geschickt kombiniert mit Fördermitteln einen echten Sprung nach vorne bedeuten.

Das Radverkehrshauptroutennetz verläuft auch durch Straßen in Tempo 30-Zonen. Für diese Routen-abschnitte soll aus diesem Bauprogramm die Einrichtung von Fahrradstraßen geprüft und die Anzahl der Fahrradstraßen von 36 auf 100 erhöht werden und somit das Radverkehrsnetz vervollständigt und Lücken geschlossen werden.

Die Schritte in Essen bleiben bisher sehr zaghaft und politisch in alten Ideen gefangen, die grüne Hauptstadt 2016 Ljubiljana hat in nur fünf Jahren die Innenstadt vom Autoverkehr weitestgehend befreit. Auch dort nicht ohne Reibungsverluste, aber das Ergebnis überzeugt weltweit weitere Nachahmer. In Essen streitet man sich leider zu oft auf provinziellen Niveau. Seit Jahren wird über die Rüttenscheider Straße gestritten, frei von wissenschaftlichem Input und Kenntnis des Verkehrsverhaltens der Kunden. Lösungen sind nicht in Sicht, man baut ideologische Hürden auf, stellt SSicherheitspersonal auf um Senioren über die Straße zu bringen, statt Erfolgsmodelle zu kopieren und die eigene Kundschaft wirklich zu analysieren. Auf dem AGFS-Kongress konnte man wieder lernen, dass mehr als 50% der Einzelhandelskunden nicht mit dem Autos anreisen, bei einem U-Bahnanschluss im Fahrradhotspot der Stadt dürfte der Anteil der nichtautomobilen Kunden noch höher liegen.  Falls wer von euch zu diesem Punkt Erkenntnisse aus Essen hat,  würde ich mich über Hinweise freuen.

Beim Radwegebau erleben wir gerade eine ähnliche Situation. Europäische Großstädte wie Sevilla überholen Städte wie Essen mit Fahrradinfrastruktur innerhalb von 12 Monaten und das trotz ebenfalls knapper Kassen. Aktuell plant man leider zu oft für eine Minderheit der Fahrbahnradlerund  nicht für die breite Mehrheit der möglichen Radfahrer in der Stadt. Ansätze mit sicherer Infrastruktur, wie in Dänemark oder Niederlanden, scheitern meistens an einzelnen Parkplatzdiskussionen.

Die bisherige Strategie, die Gehwege mit „Radfahrer frei“ statt illegalen Benutzungspflichten auszustatten, scheitert aktuell bundesweit, da es angesichts der technologischen Entwicklung und Erfolgs der Pedelecs keine erfolgsversprchenden Idee ist, die Nutzer mit großen Geschwindigkeitsunterschieden gemeinsam mit Fußgängern auf zu schmale Wege zu packen. Im Kern ist das immernoch  das Ziel, den flächenintensiven Autoverkehr nicht zu behindern. Der Versuch mit Hilfe von billigen gestrichelten Alibi-„Schutzstreifen“  Radwegelücken zu schließen um dabei keine Parkplätze zu gefährden, wird in absehbarer Zeit entweder die politisch ausgerufenen Ziele vernichten, oder ein Umdenken in der Radverkehrspolitik erfordern. In Essen liegt jetzt eine Maßnahmenliste vor, die einen neuen Impuls liefern sollen, die selbstgesteckten Ziele zu erreichen. Aus der Vorlage geht die Qualität leider nicht hervor, ich hoffe es wird Infrastruktur für Menschen von 8-88 Jahren.

Gute Radwegeanlagen sind immer eine Einladung an Menschen, die in der Mobilität eingeschränkt und auf Hilfsmittel angewiesen sind. Entsprechend kommen sichere Wege nicht nur der radelnden Menschen zu Gute. Radschutzstreifen sind nicht nur für Kinder, sondern z.B. auch für Rollstuhlfahrer unbrauchbar. Und viele Senioren radeln dann aus Angst lieber auf Gehweg und dann kämpft man völlig überrascht mit dem Prblem der Geisterradler. Hoffen wir hier, dass die Grüne Hauptstadt unsere Stadt wirklich spürbar lebenswerter und verkehrssicherer macht.  in jüngerer Zeit ist die Verwaltung übrigens dazu übergegganen gezielt Radabstellanlagen dort zu ergänzen, wo Bedarf zu bestehen scheint. Falls ihr noch ideen habt, dann gebt dem Fahrradbeauftragen doch mal eine Tip…

Lassen wir uns mal überraschen, was in den einzelnen Projekten im Details gut umgesetzt wird. Und ob sich meine „Meine Wege in der Stadt“ (Punkt für die grüne Hauptstadt 2017) sichperspektivisch wirklich verbessern.  Falls ihr in der Ecke wohnt, dann schickt mir doch mal ein aktuelles Photo von vor Ort.

Auf der Karte findet ihr die einzelnen geplante neuen(!) Abschnitte, basierend auf den Angaben im veröffentlichten Ratsbeschluss.

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Weiter gibt es eine Liste mit den Erneuerungsbedarf, die ebenfalls nochmal rund 2,5 km Strecken umfasst.

 

Quelle: RIS Stadt Essen

 

Simon Knur

Planer, Falt- und Liegeradfahrer aus dem Sauerland, wegen der Liebe und dem Job im Ruhrgebiet. Seit 2012 bei VCR und beruflich unterwegs zu den Themen Infrastruktur, Abwasser, Klimaschutz und Klimaanpassung. Blogge mit dem lokalen Schwerpunkt Essen, Radschnellweg und Radkultur.

5 Gedanken zu „Essener Bauprogramm im Radverkehr – Kleine Lichtblicke für die „Grüne Hauptstadt Europas“

  • Die Anzahl an km Radweg sagt gar nicht aus, außer etwas über die Anzahl km Radweg. Die können in Sackgassen in Industriegebieten liegen oder Querverbindungen schaffen. Entsprechend ist die pauschale Forderung nach mehr Radwegen unbrauchbar. Ob es nun 400 oder 4 Fahrradstraßen gibt, ist ebenfalls auch egal. Entscheidend ist, ob es an den notwendigen Stellen welche gibt und wie die umgesetzt sind. In der einen Stadt mögen das 2 sein, in der anderen 20 und in der nächsten 200. Angetrieben von einem Radwegplanungsbüro gilt die Forderung nach Radwegen gerade wieder als Avangarde-Forderung, bleibt im Kern in der pauschalen Form aber so überzeugend, wie wenn die Ampelhersteller mehr Ampeln fordern. Ich will weg von dieser Benchmark-Radverkehrsplanung. Es muss ein durchgängiges Netz geben, dass intuitiv erkenn- und erfahrbar ist. Und es geht um die letzten und ersten Meter außerhalb des Netzes. Ob das ganze nun als Tempo 30-Zone oder Fahrradstraße ausgeschildert ist, macht in der Realität in Essen keinen Unterschied, wenn links und rechts Blech abgestellt ist. Ich glaube nicht, dass das Kozept so gedahct war, wie es aktuell umgesetzt wird. Das sind eigentlich breite Radwege, die aussehen wie „normale“ Straßen und die man für die wenigen Anlieger frei geben kann. Aber das ist ein anderes Thema. Was hat man gewonnen, wenn da ein paar Schilder ausgewechselt wurden? Nebeneinander darf man auch jetzt schon fasst überall fahren, weil kein Platz zum korrekten Überholen ist.

    Das komische ist, dass Basel den höchsten Radverkehrsanteil der Schweiz hat (16% bei 18% Kfz) und damit mehr als fast alle deutschen Städte, nur dass dort auch Eltern mit Kindern und alte Leute ganz selbstverständlich auf der Fahrbahn unterwegs sind. In der Stadt wäre schlicht kein Platz für ausreichend große Radwege an den meisten Stellen. Auch der ÖPNV hat einen hohen Anteil am MIV. Wer mal ein paar Tage in Basel war, weiß, dass es auch ohne getrennte Radwege geht. Das meiste sind Velostreifen auf der Fahrbahn (breiter als hier in der Region), daneben gibt es viele Markierungen, die den gedachten Weg z. B. komplizierten Kreuzungen aufzeigen. Und Gehwegradler muss man gezielt suchen.

    Warum sollen deutsche Senioren und Eltern nicht auf der Fahrbahn sicher und zügig fahren können? Die Fahrradstadt für 0-100 ist kfz-verkehrarm und das Fahrrad hat einen anderen Stellenwert als bei uns. Die tollsten Protected Bikelanes werden nichts bringen, wenn Lärm und Gestank des Kfz-Verkehrs das Radfahren daneben unattraktiv machen und man alle paar Meter an Einfahrten und Kreuzungen übersehen wird.

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    • Simon Knur

      Norbert, Senioren und Eltern mit Kindern machen es nicht im Autoverkehr. Und laut BaSt radeln 4% freiwillig zwischen Autos.
      Ansonsten kann ich hier zusammenstellen, was auch in der Vorlage steht. Da ist leider keine Angabe zu der Art der Baumaßnahme.

      Und bei 15-18% ist immer Ende im Radverkehr ohne Radwege. Weltweit gibt es keine Stadt mit Autos und ohne Radwege die mehr schafft. Mir ist keine Bekannt.

      Und da wir es mittelfristig nicht schaffen werden die Autos abzuschaffen müssen wir die Ergebnisse aus der Soziologie nutzen. Die NL und DK wissen es längst und nutzen es gezielt. Und es funktioniert.

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      • Zwei kurze Anmerkungen:
        – Och, die ganzen Ex-Manager auf ihren Carbon-Rennrädern, verbissenem Gesicht und sexy Telekom-Trikot fahren ganz sicher nicht gerne auf Radwegen und sind auch Senioren.
        – Städte wie Basel werden auch bei mehr Radwegen (wo auch immer im Bestand), nicht deutlich mehr Radverkehr bekommen, da der ÖPNV gut ausgebaut ist (da kommt alle paar Minuten das Tram (wie es dort heißt) oder ein Bus, die Stadt ist kompakt und man kann vieles zu Fuß zurück legen. Der Fußverkehrsanteil liegt bei 37%.Ein höherer Radverkehrsanteil würde zu Lasten von Fußverkehr und ÖPNV gehen. Wer dort weniger Kfz will, muss vor allem den ÖPNV im benachbarten Elsaß ausbauen.

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  • Bin demnächst mal kurz in Basel. Aber soweit ich weiß ist da der Fahrzeugbestand in den Schweizer Großstädten auch deutlich dünner als hier. Dichter geht ja auch nicht mehr.
    Zumal das öffentliche parken massiv eingeschränkt ist, was die Nutzung erschwert und schon wesentlich zur Verkehrssicherheit beiträgt. So habe ich jedenfalls selbst Zürich erlebt.

    Werde demnächst mal eine kleine Runde drehen und berichten…

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    • Die Reduzierung hat Gesetzescharakter, deshalb müssen die da wirklich was machen:

      Das Umweltschutzgesetz (§13b Abs. 1) schreibt vor, dass der Anteil des öffentlichen Verkehrs sowie des Fuss- und Veloverkehrs am Gesamtverkehr zunehmen soll. Dieses Ziel wurde in den letzten vier Jahren erreicht. Zusätzlich steht im Umweltschutzgesetz (§13 Abs. 2), dass der Autoverkehr ausserhalb der Autobahnen bis 2020 um 10% abnehmen soll.

      Das Ziel ist durch eine Volksabstimmung abgesegnet.

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